© Olivier Beart, courtesy RotorDC

Re-Use: Baumaterial wiederverwenden

Das Zukunftsthema der Baubranche ist – nicht erst seit der Verknappung der Rohstoffe und Irritationen in den Lieferketten – Baumaterial im Kreislauf zu führen. Ziel ist immer öfter die tatsächliche Wiederverwendung, also Reuse. Das bedarf aber komplett neuer Ansätze in der Planung, aber auch in der Gebäudedokumentation, weil der Rückbau von Gebäuden bereits bei der Errichtung mitgedacht werden muss.

Nachhaltigkeit weiter denken. Wer über den Tellerrand blickt, weiß, dass Nachhaltigkeit in der Bauwirtschaft nicht mit nachhaltigen oder nachhaltig hergestellten Baustoffen erledigt ist.  Wer weiter denkt, dem wird schnell klar, es geht um mehr. Nachhaltigkeit setzt viel früher an – in der Planung, um möglichst wenig Baumaterial zu verwenden. Der Einsatz von Sekundärrohstoffen, aber auch die Wiederverwendung von Baumaterialien und Bauteilen, also Reuse ist das Gebot der Stunde,  bedarf aber komplett neuer Planungsansätze. Denn der Rückbau von Immobilien muss schon bei der Errichtung als Teil der Lebenszyklus-Betrachtung mitgedacht werden.

Baustoffrecycling wird hierzulande bereits seit 1990 professionell betrieben, ob mobil auf Baustellen oder stationär. Über 80 Prozent der mineralischen Baurestmassen, die früher auf Deponien gelandet wären, werden einem Recycling zugeführt. Aufbereitungsanlagen sind in Österreich flächendeckend vorhanden, das Qualitätsmanagement ist nach nationalen und europäischen Vorgaben im Spitzenfeld Europas angesiedelt. Darüber wacht unter anderem der Österreichische Baustoff-Recycling Verband, der Anfang April in Wien seine Baustoff-Recycling-Fachtagung abhielt. Jose Blanco, Generalsekretär des Europäischen Abbruchverbandes EDA, stellt dabei klar, dass Europa ab 2030 bei jedem zweiten Bauobjekt 15 Prozent der Baumaterialien wiederverwendet und zusätzlich 15 Prozent Recycling-Komponenten verwendet wissen.

Thomas Kasper, Präsident des Österreichischen Baustoff-Recycling Verbandes, beleuchtet dies für Österreich: Die Kreislaufwirtschaftsstrategie, im Entwurf vom Klimaministerium Anfang des Jahres vorgestellt, verlangt eine Ressourcenschonung von 25 Prozent in den kommenden acht Jahren – dies lässt sich alleine durch Steigerung des Baustoff-Recyclings nicht schaffen, da Österreich bereits eine Recyclingquote von 85-90 Prozent aufweist und eine Steigerung nur mehr im geringen Ausmaß möglich ist. Ein großes Potential sieht Kasper hingegen beim Aushub: Baustellenaushübe fallen mit 42 Millionen Tonnen jährlich an, vom einfachen Kelleraushub bis hin zum Tunnelausbruch. Da weniger als ein Viertel davon einer Verwertung zugeführt wird, ließe sich das stark steigern – auch wenn nicht alle anfallenden Aushübe die ausreichende technische Qualität aufweisen.

Mit der Deponieverordnungsnovelle, die im April 2021 in Kraft getreten ist, können viele „Abfälle“ wie beispielsweise Betonabbruch ohnehin nicht mehr auf einer Deponie abgelagert werden. Ab 2026 gilt das Deponierungsverbot auch für Gipsplatten, Gips-Wandbauplatten und faserverstärkte Gipsplatten und faserverstärkte Gipsplatten mit einigen Ausnahmen. „Voraussetzung für das stoffliche Recycling ist ein sortenreiner Rückbau sowie eine trockene Lagerung, Sammlung und Transport, da ausschließlich trockene Gipsplatten mit geringem Energieaufwand einem umwelt- und klimafreundlichen Recycling zugeführt werden können“, erläutert Alois Fürnkranz (Saubermacher Dienstleistungs AG).

Die Stadt als Rohstoffquelle

Auch wenn man beim Gipsplatten-Recycling bereits einen Schritt weitergeht, weil von einem Rückbau ausgegangen wird, handelt es sich beim Baustoffrecycling jedoch in der Regel um Downcycling, die Produkte verlieren bei der Wiederverwertung an Qualität.  Klassisches Beispiel: Aus Ziegel vom Abbruch eines Hauses wird Ziegelsplitt, der als Ersatz von Natursteinen beispielsweise im Straßen-Unterbau eingesetzt wird.

Zum klassischen Baustoffrecycling hat sich in den letzten Jahren der Begriff „Urban Mining“ hinzugesellt. Bestehende Gebäude und Infrastrukturen in den Städten sollen den steigenden Bedarf an Rohstoffen decken. Auch dabei geht es im Prinzip um eine Quelle für Sekundärrohstoffe. Doch wie lässt sich der echte Kreislaufgedanke in der Realität umsetzen, also Bauteile aus bestehenden Gebäuden rückbauen und wiederverwenden?

Diesen Gedanken nimmt die Plattform Madaster – eine Wortschöpfung aus den holländischen Wörtern Material und Kataster – auf. Ähnlich einer Rohstoffbörse sollen in Gebäude verbaute Materialien über die Plattform gehandelt werden, wenn deren Rückbau erfolgt. Rückgebaute Immobilien dienen so als Depot für weitere Projekte. Madaster hat eine klare Vision: Abfall vermeiden, indem man Materialien einen Wert gibt. Dafür braucht es einen öffentlich zugänglichen Einblick und Überblick über Materialien, Bauteile und Produkte. Möglich wäre das über das BIM-Modell, das die erforderlichen Daten verfügt: Welche Materialien sitzen an welchen Stellen, wie sind sie zu demontieren, wie flexibel, wie gesund sind sie, was sind die Fügetechniken?

Das hat auch einen für die Immobilienwirtschaft nicht zu vernachlässigenden wirtschaftlichen Hintergrund. Bei kreislauffähigen Gebäuden könnten bereits zum Zeitpunkt der Planung und spätestens mit der Fertigstellung des Gebäudes die Materialwerte in die Buchwerte eingebracht werden. Über Madaster könnten nämlich Werte abgegriffen werden, wie viel die Materialien – Stahl, Beton etc. – die im Gebäude stecken, wert sind. Letztendlich kann damit das Materialdepot des jeweiligen Gebäudes beziffert werden, was wiederum den Wert der Immobilie erhöht. In Deutschland ist Madaster bereits online und unter anderem mit ATP eine Partnerschaft eingegangen. Auch an Bord ist Drees & Sommer, die auch bei der Etablierung von Madaster Österreich treibende Kraft sind.

Rückbau in der Praxis

In Belgien hat sich ebenfalls eine Baumaterial-Handelsplattform etabliert: Rotor Decontruction, die von RotorDC Deconstruction & Consulting mit Sitz in Brüssel seit 2014 betrieben wird. Das genossenschaftlich organisierte Unternehmen demontiert, verarbeitet und handelt mit gebrauchten Bauelementen und Materialien, darunter Türen, Leuchtkörper, Parkett. Während man zu Beginn fast ausschließlich Materialien verkaufte, die von den eigenen Mitarbeitern demontiert wurden, handelt der Shop nun auch Materialien von anderen Anbietern wie Abbruchunternehmen und Immobilienunternehmen. Rotor DC arbeitet mit drei Abteilungen, dem „In Team“ (Beschaffung, Inventarisierung), dem „Process Team“ (Demontage Verarbeitung) und dem „Out Team“ (Beratung, Verkauf).

Die Plattform entwickelt auch Rückbautechniken, Logistiksysteme und Wiederaufbereitungsanlagen und hat sich auf die Reparatur und den Umbau von Beleuchtungseinrichtungen, das Entfernen von Mörtel von Keramikfliesen, die Wiederaufbereitung von hochwertigem „städtischem“ Holz, die Reinigung und Vorbereitung zur Wiederverwendung von Möbeln und Baugeräten, Sanitäranlagen und die Planung und Organisation von Bergungsarbeiten in großen und komplizierten Gebäuden spezialisiert.

Der sachgerechte Rückbau ist auch die Spezialität von BauKarussell, 2016 gegründet und einer der ersten österreichischen Anbieter für verwertungsorientierten Rückbau, mit besonderem Fokus auf Wiederverwendung (Re-Use) für großvolumige Objekte. Einige Projekte wie der Rückbau des Dusika-Stadions oder des ehemaligen Wien Energie-Zentrums wurden bereits erfolgreich abgewickelt. Derzeit wird beim Wiener Sophienspital Baumaterial für die Wiederverwendung aufbereitet.

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Kreislauffähige Baustoffe

Praktisch alle Unternehmen der Baustoffindustrie arbeiten derzeit an Lösungen, um ihre Produkte kreislauffähig zu machen. Jüngstes Beispiel ist die Wienerberger Gruppe, die in enger Zusammenarbeit mit New Horizon, einem niederländischen Urban-Mining-Spezialisten, nun den kreislauforientierten Vormauerziegel CicloBrick auf den Markt bringt. In der Produktion wird auf den Naturrohstoff Ton zurückgegriffen und dabei 20 Prozent keramische Restmaterialien verarbeitet, die von New Horizon aus Abbruchhäusern gewonnen werden. Diese werden gemahlen und dem Basisrohstoff Ton beigemischt. Mit der Intention dieses Verfahren und die Anwendung von Urban Mining langfristig weiter auszubauen, wird der Ziegel derzeit erstmals an einem Wienerberger Standort in den Niederlanden produziert. Am Ende seiner Lebensdauer kann CicloBrick wieder auf die gleiche Weise recycelt und als Baumaterial ganz im Sinn der Kreislauforientierung wiederverwendet werden.

Heimo Scheuch, Vorstandsvorsitzender der Wienerberger AG: „Wir sehen den Übergang zu einer stärker kreislauforientierten Wirtschaft als Chance, die viele Vorteile mit sich bringt: Verringerung der Umweltbelastungen, Verbesserung der Rohstoffversorgungssicherheit, Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit oder Förderung von Innovationen. Daher setzen wir uns auch im Rahmen von Kooperationen und Partnerschaften mit jungen, innovativen Unternehmen dafür ein, kreislauffähige Produkte und Systeme zu entwickeln, um so Rohstoffe und Emissionen einzusparen.“

Mit der gemeinsamen Entwicklung von CicloBrick schließt sich Wienerberger auch dem Urban Mining Collective von New Horizon an. Die Partner dieses Kollektivs haben sich zum Ziel gesetzt, die Stadt als Ressource zu nutzen und Rohstoffe aus Abbruchgebieten wiederzuverwenden. Künftig werden alle neuen Produkte bei Wienerberger ab 2023 zu 100 Prozent recycelbar oder wiederverwendbar sein. Zudem steigert die Gruppe laufend den Anteil an Sekundärrohstoffen beziehungsweise Recyclingstoffen.

Forschungsprojekt EPSolutely

Die österreichische EPS-Industrie erreicht laut aktuellen Studien Recyclingquoten von 26 Prozent bei Bauware bzw. 56 Prozent bei Verpackungen. Ein nicht unerheblicher Anteil fließt immer noch in die energetische Verwertung, wodurch das EPS aus dem Wertschöpfungskreislauf ausscheidet. EPS-Abbruchabfälle von Gebäuden sind aktuell fast ausschließlich HBCD-haltig. Ein Recycling ohne die Abtrennung des bis 2016 verwendeten Flammschutzmittels HBCD ist aufgrund des Zerstörungsgebotes nicht erlaubt. Da EPS erst in den 1970er-Jahren in größeren Mengen verbaut wurde und eine lange Lebensdauer besitzt, fallen noch relativ geringe Abfallmengen an. Die Gesamtmenge ist schwer abzuschätzen, wird aber in Zukunft stark steigen. Damit diese Abfälle im Kreislauf geführt werden dürfen, muss das HBCD abgetrennt werden. Das ist aktuell nur mit dem CreaSolv-Prozess sinnvoll möglich, der vom Fraunhofer Institut für Verfahrenstechnik und Verpackung entwickelt wurde.

Ziel des Forschungsprojekts EPSolutely ist, die Recyclingquote von EPS-Abfällen (Bauware und Verpackungen) zu erhöhen und dadurch den Primärrohstoffbedarf der neuen EPS-Produkte drastisch zu verringern. Beteiligt sind zwölf aus allen Bereichen des Wertschöpfungssystems unter der Leitung von Fraunhofer Austria. Die Initiative zu diesem Forschungsprojekt ging von der GPH – Güteschutzgemeinschaft Polystyrol-Hartschaum, der Interessenvertretung und Verbandsorganisation der Styropor-Hersteller und Rohstofflieferanten in Österreich, aus. „Erstmals ist es gelungen, sämtliche Akteure innerhalb der Wertschöpfungskette für expandiertes Polystyrol zusammen mit der Forschung sowie weiteren relevanten Partnern an einen Tisch zu bringen. Diese noch nie dagewesene Konstellation ermöglicht uns, gemeinsame Lösungen zu entwickeln“, meint Karl Ott, Gruppenleiter Intralogistik und Materialwirtschaft bei Fraunhofer Austria: „Bis 2025 sollen mithilfe der entwickelten Lösungen die Recyclingquoten auf bis zu 80 % gesteigert und so im Sinne einer Kreislaufwirtschaft recycelt werden.“

Müssen sich die Bauprodukte verändern?

Die Materialwahl spielt zunehmend nicht nur für die Lebenszyklusbetrachtung eine Rolle, sondern ist auch beim Rückbau wichtig. Naturmaterialien und reine Rohstoffe können leicht rückgebaut werden, schwierig wird es bei Verbundstoffen und chemisch behandelte Materialien. „Es muss unser Ziel sein, Baustoffe zu entwickeln, die immer wieder verwertet werden können. Deswegen investieren wir auch 30% unseres F&E Budgets in die Neuentwicklung nachhaltiger Baustoffe“ erklärt Christian Höberl, Geschäftsleiter Röfix Austria: „Wir arbeiten mit unseren Partnern aber an verschiedenen Lösungen. Als Mitglied der Qualitätsgruppe Wärmedämmsysteme beteiligen wir uns über den Europäischen WDS-Verband an der Entwicklung des ,PS-Loop‘. Hier werden mit Hilfe von Wasserstoff, EPS-Abfälle und Recyclingmaterial wieder zum ursprünglichen Rohstoff Styrol verarbeitet und wieder zur Produktion von neuen EPS Dämmstoffen verwendet. Da gibt es jetzt ein Werk in Europa und das hat schon zu kämpfen mit Nachschubmaterial. Wir bieten unseren Kunden auch an, ihre Mineralwolle Abfälle/Verschnitte an eine Sammelstelle zurückzubringen. Diese Abfälle werden von Mineralwolle-Herstellern abgeholt und wieder in die Produktion neuer Dämmstoffe integriert. Für den Kunden hat es den Vorteil, dass er dieses Material nicht teuer entsorgen muss. Allerdings ist der Rücklauf recyclingfähiger Komponenten aktuell noch zu gering, um den Bedarf zur Herstellung neuer Dämmstoffe abdecken zu können. Bei WDVS wird es etwas komplizierter – Kleber auf und unter der Platte und den Dübel durch die Platte. Das müsste feinsäuberlich zerlegt werden. Das ist mit hohem Aufwand und Kosten verbunden. Da sehe ich die Lösung eher in der Aufdoppelung.“