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Energiegemeinschaften am Vormarsch

Nach zögerlichem Start nehmen die Energiegemeinschaften in Österreich an Fahrt auf. Mehr als 100 Gemeinschaften sind bereits registriert. Die gesetzlichen und organisatorischen Rahmenbedingungen sind geschaffen. An der Infrastruktur – Netze und Speicher – fehlt es vorläufig noch.

Politik, meinte einst der Soziologe Max Weber, sei mit dem Bohren harter Bretter vergleichbar. Energiewende und Klimaschutz hingegen dulden keinen Aufschub. Die beiden Sphären geraten somit beständig in Konflikt miteinander. So auch im Falle der Energiegemeinschaften, die einen doch eher stotternden Start hinlegten. Nun gewinnen die ersten Projekte jedoch an Fahrt.

Woran es liegt, dass die gesetzliche Verankerung der Energiegemeinschaften hierzulande auf sich warten ließen? „Einer der Gründe dürfte die Ibiza-Affäre sein, die Regierung hatte dadurch plötzlich andere Sorgen“, meint ein Insider. Bei der derzeitigen Umsetzungspraxis gäbe es Verbesserungspotenzial: „Ich beschäftige mich seit Jahren mit dem Thema, der Anmeldeprozess bereitet mir dennoch Bauchweh. Vorläufig rechnen nur ganz wenige der in Österreich gegründeten Energiegemeinschaften tatsächlich etwas ab. Vielfach fehlen Zugänge, Verträge und anderes mehr.“

Musterstatuten und -verträge

Seit Oktober des Vorjahres werden Musterstatuten für Erneuerbare-Energie-Gemeinschaften angekündigt. Erst seit Anfang März 2022 werden beispielhafte Vereinsstatuten und Musterverträge tatsächlich auf der Webseite der Österreichischen Koordinationsstelle für Energiegemeinschaften zum Download angeboten. „Damit gibt es konkrete Hilfestellungen bei der Erstellung der erforderlichen Verträge, wobei wir für die Anpassung an die jeweiligen Gegebenheiten dringend empfehlen, von externer Beratung Gebrauch zu machen“, erklärt die Leiterin der Koordinationsstelle, Eva Dvorak.

Mit den Musterstatuten und -verträgen ist ein wichtiger Schritt gesetzt, um die Eintrittshürde so niedrig wie möglich zu halten. Ihre Tätigkeit aufgenommen hat die im Klima- und Energiefonds angesiedelte Koordinationsstelle im Mai des Vorjahres. Im Juli 2021 wurde das Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz (EAG) beschlossen, das die EU-Vorgaben zu sogenannten Energy Communities in nationales Recht umsetzt. Seit November existiert auch eine Verordnung zur Reduzierung des Systemnutzungsentgelts für Energiegemeinschaften – ein wichtiger finanzieller Anreiz.

Abschluss von Phase 3

Im September des Vorjahres startete zudem die Phase 1 des Programms „Energiegemeinschaften“ im Klimafonds. Gesucht wurden Pionier-Gemeinschaften. Von den 61 Projekten, die bis Ende Oktober eingereicht worden waren, wurden 48 mit einem Umsetzungskonzept beauftragt.

Es folgte Phase 2, die „Sondierungsphase“, die bis Jahresende angesetzt war. Dabei wurde österreichweit gesucht, 138 Projekte wurden am Ende mit einem Konzept beauftragt. Dvorak: „Zum größten Teil handelt es sich dabei um Erneuerbare-Energie-Gemeinschaften. Auffällig ist die starke Beteiligung von Gemeinden, die mit ihren eigenen Erzeugungsanlagen die lokale Bevölkerung mit Strom versorgen möchten.“

Im Jänner wurde Phase 3, die Integrationsphase, gestartet, die in diesen Tagen zu Ende geht. Unter den Bewerbern werden ausgewählte Projekte mit einem Umsetzungskonzept beauftragt, das mit einem zweijährigen Monitoring einhergeht. Für die Umsetzung gibt‘s 20.000 Euro.

Wie viele Energiegemeinschaften sind nun aber tatsächlich operativ tätig? Diese Frage ist gar nicht so einfach zu beantworten. Dvorak verweist auf ebUtilities, die Informationsplattform der österreichischen Energiewirtschaft, auf der zu Redaktionsschluss dieser Ausgabe mehr als 100 Erneuerbare-Energie-Gemeinschaften und 18 Bürgerenergiegemeinschaften registriert waren. Die Registrierung ist Voraussetzung für einen Vertragsabschluss mit dem Netzbetreiber.

Steuern und Recht

Steuerrechtliche Probleme aufgrund der Überschneidung von privater und gewerblicher Domäne sieht die Leiterin der Koordinationsstelle nicht. Laut Finanzministerium unterliegen Energiegemeinschaften nicht der Gewerbeordnung. Kopfzerbrechen bereitet die Frage der Gemeinnützigkeit. Hier wollen die Behörden im Einzelfall entscheiden. „An mehreren Fällen in Niederösterreich lässt sich aber abschätzen, dass die Gemeinnützigkeit ohnehin zuerkannt wird.“

Freie Hand haben Energiegemeinschaften bei der Wahl der Rechtsform. Das war daher auch Thema einer kürzlich abgehaltenen Online-Veranstaltung, zu der mehr als 1.000 Teilnehmende begrüßt werden konnten. Der Rechtsanwalt Florian Stangl (Niederhuber & Partner) widmete sich dabei vor allem den Vor- und Nachteilen von Verein und Genossenschaft. Und aus der Praxis schilderte Veronika Hahn als Revisionsleiterin beim Raiffeisen-Revisionsverband Niederösterreich-Wien die wichtigsten Eckpunkte einer Genossenschaft.

Verein oder Genossenschaft?

Mit den „Rechtsformen von Erneuerbaren-Energie-Gemeinschaften und Bürgerenergiegemeinschaften“ beschäftigten sich jüngst auch die Experten von PHH Rechtsanwälte, Dominik Kurzmann und Victoria Fischl, in der Fachzeitschrift „RdU – Recht der Umwelt“. Grundsätzlich können sowohl EEG wie auch BEG als Vereine, Kapitalgesellschaften (AG oder GmbH), Personengesellschaften, Genossenschaften und andere Vereinigungen mit Rechtspersönlichkeit errichtet werden.

Für den Gesetzgeber wesentlich ist nicht die jeweilige Rechtsform, sondern die Zielsetzung, die laut Elektrizitätswirtschafts- und -organisationsgesetz (ELWOG) vorrangig in ökologischen, wirtschaftlichen und sozialgemeinschaftlichen Vorteilen, nicht aber im finanziellen Gewinn zu liegen hat. „Das EAG folgt damit einem eigenständigen Begriff der Gemeinnützigkeit“, so die Autoren – und das sollte auch in den Gründungsdokumenten zum Ausdruck kommen bzw. erwähnt werden.

Die verschiedenen Gesellschaftsformen haben jeweils unterschiedliche Vor- und Nachteile: „Während bei Personengesellschaften der Gründungs- und Organisationsaufwand sehr gering ist, ist hier jedoch die (mögliche) persönliche Haftung ihrer Mitglieder zu bedenken.“ Geringe Gründungs- und laufende Kosten würden wiederum für Vereine sprechen, denen allerdings deren undurchsichtige Corporate Governance gegenübersteht. Für Gemeinschaften mit professioneller Ausrichtung und unternehmerischem Auftreten attraktiv sind Kapitalgesellschaften oder Genossenschaften. Für diese sprechen die beschränkte Haftung ihrer Mitglieder wie auch die klaren Vorgaben im Hinblick auf Corporate Governance für ihre Organe.

Auch steuerrechtliche Überlegungen gilt es im Blick zu behalten, so Kurzmann und Fischl. Die Besteuerung einer Genossenschaft entspreche im Wesentlichen jener einer GmbH – mit dem Vorteil, dass keine Mindestkörperschaftssteuer anfällt. „Gewerbliche Genossenschaften sind rechnungspflichtig und haben einen Jahresabschluss zu erstellen“ sowie einem Revisionsverband als Mitglied anzugehören.

Zu den Begünstigungen, die eine als Verein gegründete Energiegemeinschaft bei Gemeinnützigkeit in Anspruch nehmen kann, gehört ein Gewinnfreibetrag von bis zu 10.000 Euro. Außerdem bestehen bei Vereinen teilweise vereinfachte Gewinnermittlungs- und Rechnungslegungsvorschriften.

Ein genossenschaftliches Modell nach dem Muster der Raiffeisenbanken wählte die Energiegemeinschaft Tullnerfeld. Obmann der Gemeinschaft ist der Tullner Bürgermeister Peter Eisenschenk, zu den Mitgliedsgemeinden zählen nebst Tulln die Gemeinden Tulbing, Langenrohr, Sitzenberg-Reidling, Judenau Baumgarten, Michelhausen, Atzenbrugg, Königstetten und die Raiffeisenbank Tulln. Über die Energiegemeinschaft sollen sich Stromproduzenten, also die Besitzer privater Photovoltaik-Anlagen, und Stromverbraucher direkt zusammenschließen können. Für die technische Abwicklung sorgt der regionale Energieversorger Tulln Energie.

Kein Netzumbau, keine Energiewende

Durch dezentrale Produzenten, die Integration der Energiegemeinschaften und Schwankungen in der Energieproduktion durch Wind- und Sonnenstrom wird freilich auch das Stromnetz künftig vor besondere Herausforderungen gestellt. Die gesetzlichen Rahmenbedingungen hinken vorläufig noch hinterher. „Ohne Netzumbau scheitert die Energiewende“, stellt daher Brigitte Ederer fest. Mit dem bestehenden Netz sei die Umstellung auf erneuerbare, CO2-freie Energie nicht zu schaffen, so die Sprecherin des Forums Versorgungssicherheit, dem die Wiener Netze, Netz Niederösterreich, Netz Burgenland, Linz Netz und Netz Oberösterreich angehören.

In den vergangenen Jahren konnte das Netz, das ursprünglich für einen hierarchischen Stromtransport von großen Kraftwerken zu den Verbrauchern geplant war, den Zubau noch verkraften. Die aus der #mission2030 resultierende anstehende Transformation braucht aber ganz andere Ausbauziele: „Österreich benötigt zwei Millionen zusätzliche Photovoltaikanlagen. Häuser ohne PV-Module auf dem Dach werden künftig die Ausnahme sein“, ist Netz-Oberösterreich-Geschäftsführer Manfred Hofer überzeugt. Zusätzlich müssten zu den bestehenden 700 Windkraftanlagen rund 1.200 neue dazukommen. Das Stromnetz der Zukunft muss in der Lage sein, große Mengen an Strom kurzfristig aufzunehmen, abzugeben und zu verschieben, denn – so Eder – „für die Vielzahl an neuen, dezentralen, sauberen und klimaschonenden Einspeiseanlagen ist das heutige Stromnetz nicht ausgelegt“. Dafür müssten nun die nötigen Rahmenbedingungen geschaffen werden. Darunter klare Vorrangregeln für die Schutzziele. Hofer: „Der Klimaschutz muss oberste Priorität haben, sonst werden Grundsatzentscheidungen jedes Mal im Genehmigungsverfahren über Jahre hinweg diskutiert.“

Freileitung oder Erdkabel?

Ein Beispiel dafür ist die immer wieder aufflammende Diskussion rund um Freileitung und Erdkabel. Aus Sicht der Netzbetreiber ist ein Mix aus Freileitungen im Höchst- und Hochspannungsnetz und Erdkabeln im Mittel- und Niederspannungsnetz die sinnvollste Variante im Sinne der Versorgungssicherheit. Von den 265.000 Kilometern an Stromleitungen in Österreich sind 73 Prozent als Erdkabel ausgeführt. Bei der Stromverteilung von den Umspannwerken zu den Trafostationen und von dort zu den Häusern und Betrieben liegt der Erdkabelanteil bei 66 bzw. 83 Prozent. Bei der Übertragung im Hoch- und Höchstspannungsnetz bei sieben bzw. einem Prozent.

Viel Zeit ist nicht, um die Klimaschutzziele umzusetzen. Um die Geschwindigkeit beim Netzaus- und -umbau zu erhöhen, bräuchte es gesetzliche Rahmenbedingungen für effiziente und straffe Verfahren. Als Beispiel nennt Hofer die 45-kV-Genehmigungsfreistellung aus dem Starkstromwegerecht: Derzeit muss für den Bau jeder neuen Trafostation sowie für deren Erneuerung, Ersatz oder Ausbau ein Energierechtsverfahren durchgeführt werden. Jedes Jahr werden so rund 60 Trafostationen neu gebaut und in Summe fast 200 Genehmigungsverfahren durchgeführt.

18 Milliarden stehen bereit

Die Verteilernetzbetreiber sind jedenfalls bereit, bis 2030 groß zu investieren: In Oberösterreich, Niederösterreich, Wien und dem Burgenland stehen Investitionen von 5,9 Milliarden Euro an – für den Ausbau der Stromleitungen für Transport und Verteilung (Hoch-, Mittel- und Niederspannung) sowie der Infrastruktur (Umspannwerke, Trafostationen). Rund eine Milliarde Euro wird zusätzlich in die Modernisierung der Zähler-Infrastruktur gesteckt. Auf der österreichweiten Transportebene bringt der Übertragungsnetzbetreiber weitere 3,5 Milliarden Euro bis 2030 auf. Der Gesamtaufwand der Netzbetreiber summiert sich in diesem Zeitraum auf 18 Milliarden Euro, so das Ergebnis einer Studie, die im Auftrag von Oesterreichs Energie durchgeführt wurde.

In 6 Schritten ... zur Energiegemeinschaft

  1. Erste Überlegungen: Welche Erzeugungsanlagen gibt es? Wer macht mit? Welches Modell (lokale oder regionale EEG) soll umgesetzt werden?
  2. Kontakt mit dem Netzbetreiber: Abklärung der passenden EEG-Form, Wahl der Stromaufteilung (dynamisches oder statisches Modell)
  3. Konzepterstellung: Festlegung der Art der Energiegemeinschaft, der Organisationsform, der Abrechnung und des Strompreises innerhalb der EEG
  4.  Gründung der Rechtspersönlichkeit: Wahl zwischen Genossenschaft, Verein oder anderen möglichen Rechtsformen, Registrierung als Marktteilnehmer unter www.ebutilities.at
  5. Vertrag mit dem Netzbetreiber: Nach der Registrierung erhält die EEG eine Marktpartner-ID (RC-Nummer), die im Vertrag mit dem Netzbetreiber anzugeben ist. Der Vertrag gliedert sich in zwei Bereiche – die Vereinbarung zwischen EEG und Netzbetreiber sowie die Vereinbarung zwischen den einzelnen EEG-Teilnehmern und dem Netzbetreiber.
  6. Anbindung an die Marktkommunikation: Im letzten Schritt erfolgt die Anbindung an den energiewirtschaftlichen Datenaustausch, zum Beispiel per EDA-Anwenderportal. Hier werden die innergemeinschaftlichen Strommengen der Erzeugungs- und Verbrauchsanlagen übermittelt. Je nach Größe und Komplexität kann für die Abrechnung eine externe Software notwendig sein.

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