„Komplex im Hintergrund, einfach in der Bedienung“
a3BAU: Sie sind mit specter angetreten, um den Bauprozess zu digitalisieren. Es gibt mittlerweile sehr viele Tools zur digitalen Baustellen-Steuerung – wodurch unterscheidet sich specter?
Oliver Eischet: Es gibt viele Lösungen am Markt, der Unterschied zu uns ist jedoch: das meiste ist zweidimensional. Meistens hat man einzelne Prozesse, die im Digitalen stattfinden, also Taktplanung, Taktsteuerung oder Mängel-Management etc. Und diese Tools integrieren zum Teil 3D Modelle, nutzen es aber als Visualisierung. Wir kommen aber tatsächlich aus der BIM-Welt. Bei uns geht es darum, was BIM im Kern ist, nämlich eine dreidimensionale Datenbank, an denen alle Projektbeteiligten arbeiten. Diese bringen wir konsequent auf die Baustelle und nutzen sie. Was heißt das? Specter erstellt keine neuen Daten, sondern wir nehmen das bestehende 3D Modell, den bestehenden Terminplan, die bestehende Kalkulation und integrieren das alles in das 3D Modell, sodass letztendlich über einen Klick auf ein Bauteil diese Daten zugänglich werden. Das heißt: es ist im Endeffekt eine dreidimensionale Datenbank.
Wo setzt specter im Projekt-Ablauf ein?
Wir steigen meistens ein, wenn die Kranfundamente gegossen werden also wenn wirklich die Koordinationsprozesse auf der Baustelle starten. Nach dem Erdaushub im Hochbau nehmen wir alle Daten, die bis dorthin erstellt worden sind und integrieren sie in das 3D Modell, das entweder vom Generalunternehmer kommt, wenn er eine eigene Modellier-Abteilung hat, ansonsten vom Statiker oder vom Architekten und wenn es keines gibt, modellieren wir selbst. Aber das ist nicht unsere primäre Dienstleistung.
Die Daten kommen von der Baustellen-Leitung, also GU oder ÖBA oder Baufirma …
Exakt. Der Terminplan wird frühzeitig vor Baubeginn erstellt, die Kalkulation in der Angebots-Phase gemacht, wo jeder einzelne Arbeitsschritt kalkulatorisch berechnet wird und auch die Leistungs-Verzeichnisse erstellt werden. All diese Daten nutzen wir und integrieren sie in das 3D-Modell, damit man eben per Klick auf ein Bauteil alle Informationen hat, die für dieses Bauteil relevant sind – sprich alle Arbeitsschritte, alle Materialien, alle Kosten, aber auch den Soll-Termin vom Zeitplan her, um dann die Baustellen-Steuerung zu machen.
Das alles braucht Zeit. Also wann muss man euch ins Boot holen, um das alles noch rechtzeitig hinzubekommen?
Wenn es ein Bestandskunde ist, kennen wir natürlich die Datenstrukturen. Dann dauert das Aufsetzen eines Projektes nur wenige Minuten, vielleicht eine Stunde. Wenn wir über neue Kunden reden, dann würden wir über die Daten schon gerne ungefähr eine oder zwei Wochen vor Einsatz der Software verfügen. Das geht so schnell, weil wir eben Algorithmen haben, die den Terminplan mit dem Modell matchen. Und dann schaut jemand drüber und fügt vielleicht noch einen Prozess manuell hinzu. Aber der Großteil läuft mittlerweile automatisiert bei uns.
Und es gibt keine Probleme mit – ich sage mal – unterschiedlichen Bezeichnungen, dass für Bauteile andere Namen vergeben wurden …?
Den Großteil haben wir im Griff. Sicherlich gibt es immer mal wieder Herausforderungen, aber wir arbeiten oftmals mit großen GUs zusammen, einer Strabag oder einer Implenia, die viele Herausforderungen schon gelöst haben. Kunden, die nicht so stark digitalisiert sind, machen meistens auch gar keine modellbasierte Kalkulation. Die erstellen dann über uns die Kalkulation und die Leistungspositionen. Da können wir ein stückweit auch die AVA-Programme ersetzen.
Wer arbeitet mit specter?
Auf der Baustelle selbst arbeiten der Polier und der Bauleiter mit der Software. Aber was das Thema Daten-Integration angeht, arbeiten wir mit dem Digitalisierung-Leiter, der BIM-Abteilung oder mit einem Projektleiter zusammen, der digital natürlich auch nochmal affiner ist als der Polier, der sich draußen primär um die Baustelle kümmert. Die Software selbst benutzen aber ausschließlich der Polier, Projekt- und oder Bauleiter. Das ist der zweite Punkt, der uns unterscheidet. Wir haben eine hochkomplexe Software entwickelt, die im Hintergrund arbeitet. Sie können sich vorstellen, jedes Bauunternehmen hat andere Software-Umgebungen und selbst wenn man dieselbe Software hat, heißt das noch lange nicht, dass die Daten gleich aussehen. Das heißt, wir haben mittlerweile hunderte von sogenannten Pipelines, die diese Daten bei uns hochladen und matchen. Das ist der sehr komplexe und schwierige Teil. Gleichzeitig, und das ist eben der zweite Vorteil unserer Lösung, muss die Software so kinderleicht bedienbar sein, dass der Polier eigentlich nur zehn Knöpfe hat und genau weiß welcher Kopf was macht. Diese Herausforderungen haben wir, glaube ich, ganz gut hinbekommen, weil wir – wie auch ich selbst – nicht aus der Industrie kommen, sondern wir unser Tool gemeinsam mit Polieren und Bauleitern entwickeln haben durch unzählige Tage, die wir auf der Baustelle verbracht haben – und wir sind auch weiterhin noch sehr oft vor Ort, um weiterhin Feedback einfließen zu lassen. Der dritte Punkt ist, dass wir weltweit von nur zwei Software-Lösungen reden, die BIM und Lean miteinander verheiratet haben – das sind wir und VisiLean, eine Lösung aus Skandinavien. Wir sind die einzigen weltweit, die diese Themen zusammen bespielen können. Das gibt uns aktuell auch sehr viel Rückenwind, weil so eine Software händeringend gesucht wird.
Um es zusammenzufassen: Die Übersetzung des 3D-Modells in eine arbeitstaugliche Software wird an euch ausgelagert, der Zwischenschritt von „Wir haben zwar die Daten alle im Haus, aber wir wissen nicht, wie wir diese mit den Leuten zusammenbringen, die auf der Baustelle arbeiten“ wird von specter übernommen?
Das ist genau dieser Bruch zwischen der Planung und Ausführung – warum wir in der Planung sehr, sehr digital sind mit Modellen und digitalen Terminplänen, aber auf der Baustelle dann doch wieder mit Stift und Papier steuern, wann wo was wie mit wem passiert – genau diesen Bruch bespielen wir. Und wir können das Gelernte auch wieder in die Planungsphase übertragen, weil wir einen konstanten Soll/Ist-Vergleich haben in 4D, also Zeit, und 5D, also Kosten, können auch Verzögerung analysiert werden beispielsweise, sodass am Ende des Projektes genau feststeht, was lief denn jetzt falsch im Vergleich zu wie es hätte sein sollen. Es geht auch darum in einer Art Nachkalkulation in das Projekt reinzugehen und sich die Zeit zu nehmen oder die Analysen bereitgestellt zu bekommen, um zu lernen – um letztendlich die Analyse als Ausgangsbasis zu nützen, um sich zu verbessern und Projekte nicht immer als singuläre Baustelle zu betrachten.
Von der Abwicklung her baut die Software auf Lean und dem Last Planner auf?
Wir sind grundsätzlich methodenunabhängig. Was wir letztendlich machen, ist eine Wochenplanung, sehr, sehr, sehr simpel im Kernprozess. Ich klicke auf die Bauteile und sehe meine Arbeitsschritte, meine Kalkulationspositionen mit Material, Mengen, Kosten und Zeiten. Die ziehe ich per Drag and Drop in die Woche, wann auf der Baustelle das entsprechende Gewerk passiert. Dadurch ist das Modell mit diesem Arbeitsplan verknüpft. Am Ende des Tages hake ich dann all diese Arbeitsschritte ab, wie man es von jeder anderen Todo-Liste kennt – oder melde eine Verzögerung, weil beispielsweise Schlechtwetter war, man nicht betonieren konnte und das Ganze dann auf einen Tag später legt. Das ist im Endeffekt alles, was der Polier machen muss. Was die Zeitersparnis bringt, sind ganz viele Automatisierungen.
Ein Beispiel dafür …?
Komplett automatisiert wird jede einzelne Kachel als Arbeitsschritt erkannt, also was Schalung, was Bewehrung ist, und wo das Ganze liegt, weil wir das 3D-Modell haben. Ausdrucke können automatisch generiert werden in 3D oder in 2D, wo dann die Bauteile zwecks Kommunikation mit den Subunternehmern entsprechend eingefärbt werden. Wir haben die Material-Übersichten, also welche Materialien brauche ich, um die geplanten Arbeitsschritte ausführen zu können? Demnächst werden die auch über Partnerlösungen von uns bestellbar sein. Daran arbeiten wir gerade. Außerdem sieht man den Bau-Status: Was ist geplant, was gestartet, was abgeschlossen? Egal ob ich auf der Baustelle, Bauherr oder Lieferant bin – jeder ist informiert, was der aktuelle Status ist, weil ein 3D-Modell sehr leicht für jedermann verständlich ist. Und das ganze Thema Dokumentation ist komplett automatisiert, das heißt wir wissen zu jedem Bauteil, wann welcher Arbeitsschritt erledigt worden ist. Idealerweise hinterlegt der Polier noch ein Foto, dann ist auch die Revisions-Sicherheit gegeben, wenn es vor Gericht gehen würde. Wir haben auch einen Live-Terminplan mit einem Soll/Ist-Vergleich, also wann hätten wir irgendwo starten sollen? Wann ist man tatsächlich gestartet? So weiß man jederzeit, wie viel Prozent gerade abgeschlossen ist und kann prognostizieren, ob der Endtermin erreicht werden wird. Das sind alles Automatisierungen, die der Polier und der Bauleiter kostenlos bekommen, wenn er mit uns digital am Modell die Woche plant.
Wie holt man die Gewerke ins Boot? Haben die auch einen Zugang zur Software oder wie funktioniert das?
Wir haben aktuell noch keine Gewerke-Software, noch keine App. Allerdings kann man einerseits am Modell direkt das Ganze besprechen, jedes Gewerk hat eine Farbe und man sieht die Bauteile oder die Räume im Innenausbau, die dann in der Farbe des Gewerks eingefärbt sind. Also der Fliesenleger weiß, in welchen Raum er muss, der Maler, der Estrichleger usw. Andererseits haben wir die Ausdrucke. Gerade im Rohbau wird einfach viel mit Papier gearbeitet, das heißt man druckt das 3D-Modell aus oder das Modell als 2D-Ansicht von oben und dort sind dann die entsprechenden Bauteile oder Räume farblich so hinterlegt, dass jedes Gewerk weiß: In welchem Raum muss ich oder an welchem Bauteil arbeite ich heute?
Aktuell greifen die Gewerke also noch nicht auf die Software zu, sondern gehen zum Polier oder Bauleiter. Ist das in Folge geplant?
Das ist geplant, aber tatsächlich gar nicht so gefordert, weil die Bauleiter sagen: Wir machen ohnehin eine Besprechung morgens, wo alle Subunternehmer zusammensitzen. Womit wir uns eher anfreunden, ist uns in bestehende Lösungen zu integrieren, weil es auch sehr, sehr viele Softwares für die Handwerker gibt, worüber sie ihre Abrechnungen machen, ihre Bestellungen tätigen. Das heißt, wir wollen vielmehr, dass die Aufgaben, die in specter geplant werden, in die entsprechende Handwerker-Software übernommen wird, der Handwerker wie gewohnt in seiner Software arbeitet und wir die Rückmeldung über den prozentualen Fortschritt bekommen. Wir wollen auch keine Lösung beispielsweise für Mängel-Management bauen, denn davon gibt es mehr als genug im Markt. Vielmehr öffnen wir gerade die Plattform, sodass wir mehr und mehr Integration anbieten.
Wie schaut es mit Anbindungen im Bereich der Bestellung von Material aus?
Wir haben zwei Forschungsprojekte laufen mit verschiedenen Logistikern. Das sind zum Teil Startups, zum Teil auch Baustoffhändler, wo wir uns genauso integrieren wollen. Wir haben ja die Material-Übersicht. Wir wollen einen Bestellknopf integrieren, über den dann die Bestellung an die Partner-Lösung geht und wir im Gegenzug den Lieferschein bekommen, der wiederum digital mit dem Bauteil verknüpft wird.
Wenn wir weiterdenken, beispielsweise an die Übergabe des BIM-Modells ans Facility Management. Ist das noch Zukunftsmusik oder bald Realität bzw. überhaupt sinnvoll? Oft wird kritisiert, dass man je nach Projektfortschritt unterschiedliche Modelle benötigt, nicht ein einziges überladenes BIM-Modell …
Es hilft, wenn man sich das 3D-Modell als Datenbank vorstellt. Die Geometrien sind im Endeffekt Rendering-Geschichten, die von der Software übernommen werden. Es geht vielmehr darum, dass alle Daten an einem Ort sind und dass Software übergreifend kommuniziert wird. Das heißt, wir reden hier von Filtern. Wenn ich jetzt im Rohbau bin, brauche ich das Innenausbau-Modell nicht und muss nicht wissen, wo Trockenbauwände sind. Ich brauche nur alle tragenden Wände. Und das ist ein Filter. Die Vision, die wir vertreten ist: Wir müssen alle an einem Modell arbeiten, aber jedes Gewerk muss einfach nur das sehen, was gerade für den Beteiligten relevant ist. Und das ist eine große Datenbank und jeder setzt den Filter genau an der Stelle, wo er Informationen reduziert braucht. Ich glaube, es ist wichtig, dass wir nicht anfangen, separate Modelle zu erstellen – Planungs- oder Ausführungsmodelle, vielleicht noch ein Rückbau Modell am Ende, sondern es ist wichtig, dass alles in einer Datei liegt und alles miteinander kommuniziert, weil sonst wissen wir am Ende nicht mehr, was bis jetzt tatsächlich gebaut und was geplant worden ist.
Wie funktioniert das Geschäftsmodell und mit welchen Kosten ist es verbunden?
Wir sind eine projektbasierte Software, das heißt, wir haben unendliche Nutzer-Zugänge, die der Generalunternehmer auch selbst verwalten kann, also Bauherren auf die Software schalten, intern beliebig viele Zugänge geben. Er zahlt uns eine monatliche Gebühr pro Projekt, die je nach Bauvolumen im Schnitt bei 600 bis 700 Euro liegt, für ein 15-Millionen-Projekt zum Beispiel. In Folge kommen wir mit unseren Kunden relativ schnell dahin, unternehmensweite Verträge zu machen, das heißt, dass alle Bauprojekte mit uns abgewickelt werden, weil man dann auch zwischen den Projekten Analysen fahren kann, um zu sehen, wie sich die Aufwandswerte beispielsweise in den jeweiligen Projekten entwickelt haben. Aber im Prinzip starten wir mit einem projektbasierten Lizenzvertrag.
Letzte Frage: Wie sehen Sie die Entwicklung, dass derzeit sehr viele Lösungen auf den Markt strömen und dieser sehr unübersichtlich geworden ist …
Wir sehen gerade eine neue Generation an Software, die in den Markt drängt und sich der Bausoftware-Markt gerade in einem riesigen Umbruch befindet. Viel von bestehenden Prozessen wird hinterfragt und der Markt ist auch darauf angewiesen, dass viele Bauunternehmen die Offenheit haben, mit jungen Startups Dinge auszuprobieren und neue Prozesse zu testen. Gleichzeitig macht es die makroökonomische Situation gerade für jene, die noch keine großen Geldsummen eingesammelt haben schwierig. Dementsprechend glaube ich, dass in den nächsten Monaten und Jahren durchaus das eine oder andere Startup insolvent sein und eine Konsolidierungsphase stattfinden wird.
Ein gutes Stück werden die Bauunternehmen, also die Anwender, mit der Vielzahl an Lösungen überfordert …
Ja, aber gleichzeitig braucht es diese Vielzahl an Lösungen, die auch teilweise extern finanziert werden, weil die Bauunternehmen gerade was ihre internen Ressourcen hinsichtlich IT und Data Science betrifft, gar nicht aufbauen können. Mit der Geschwindigkeit, die beispielsweise im Bereich der Nachhaltigkeits-Reportings gefordert ist, braucht es schnell digitale Lösungen. Das heißt, eigentlich brauchen die Startups die Bauunternehmen – und die Bauunternehmen die Startups. Aber dadurch, dass es so viele gibt und es so undurchsichtig ist, ist der Weg einer Partnerschaft dann doch sehr komplex, weil natürlich alle Startups nach außen proklamieren: „Wir machen eine digitale Baustelle“. Aber im Detail liegt dann der Unterschied. Für Bauunternehmen, die keine Digitalisierung-Abteilung haben, die nicht den ganzen Tag scouten können, sondern wo der Geschäftsführer im Zweifel Projektleiter und auf der Baustelle ist, für die ist es unfassbar schwierig geworden, mit dieser Überflutung klarzukommen.