Bebauungsplan Reinhard Seiß a3bau
In den meisten anderen Städten Österreichs wird der Begriff Städtebau heute missverstanden, wenn nicht ignoriert.
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Bebauungsplan

Was macht – oder besser gesagt, machte – unsere Städte und Dörfer schön? Klar, die Architektur der einzelnen Bauten, aber mindestens genauso deren Maßstäblichkeit, Einheitlichkeit und Ensemblewirkung. Um diese auch heute zu erzielen, bräuchte es eine Renaissance des Städtebaus, bei der es freilich um viel mehr als nur Schönheit ginge.

Einheitlichkeit hat nichts mit Einförmigkeit zu tun – und ist per se kein Hemmnis für Individualität und Vielfalt. Vielmehr geht es darum, dass einzelne Bauten zusammen eine Einheit bilden beziehungsweise ein Ganzes ergeben, das mehr ist, als die Summe seiner Bestandteile. Man nennt das Städtebau – oder nannte es früher auch Stadtbaukunst.

Jahrhundertelang war es sozusagen eine kollektive Leistung, ja vielleicht sogar Kunstfertigkeit, bauliche Ensembles zu schaffen. Übergeordnete Pläne brauchte es dazu kaum – und wenn, dann nur, um technische Belange zu regeln: Brandschutz, Belichtung und Besonnung, eine gerechte Parzellenaufteilung oder die Abgrenzung zum öffentlichen Raum. Form und Gestalt der Bauten hingegen folgten mehrheitlich natur­räumlichen und klimatischen Vorgaben, regionalen Bautraditionen, eingeschränkter Materialwahl, notwendiger ökonomischer Effizienz oder auch herrschaftlichen und gesellschaftlichen Normen.

Die materiellen Zwänge und technologischen Einschränkungen schwanden mit Ende der Nachkriegszeit – und spätestens in den 1990er-Jahren endete auch der Konsens, wie zu bauen sei: Nach Ende der Postmoderne gab es keinen architektonischen „Leitstil“ mehr. An die Stelle von ortsansässigen Bauherren, die mit selbstbewussten Architekten repräsentative Firmensitze schufen, traten global denkende Projektentwickler, die mit Entwurfsdienstleistern spekulative Anlageobjekte kreierten. Und „an der Basis“ verwirklichten sich zunehmend emanzipierte Häuslbauer aufs Hemmungsloseste.

Umso nötiger, könnte man meinen, wären ab diesem Zeitpunkt klarere bauliche Vorgaben vonseiten der öffentlichen Hand gewesen. Doch stand dies im Widerspruch zum Liberalismus jener Jahre, den wir etwa in finanzpolitischer Hinsicht längst bereuen und auch schon teuer bezahlt haben. So waren Landbürgermeister, die sich – zugegeben, oft wenig professionell – um das Siedlungsbild kümmerten, bald als „Geschmackspolizisten“ verrufen. Und in den meisten Städten wurden beamtete Planer, die nach wie vor konkrete übergeordnete Konzepte schmiedeten, als realitätsfremde Dogmatiker abgetan, die einem längst überholten Idealbild von Stadt nachhingen.

Stadtplanung „light“

Einzug hielt eine politisierte „Stadtplanung light“, die vorgab, in schnelllebigen Zeiten wie diesen besser kurzfristig und punktuell reagieren, als langfristig und gesamtstädtisch agieren zu wollen.
Dass das Instrument des Bebauungsplans damals nicht gleich entsorgt wurde, was übereifrige Architekten tatsächlich forderten, ist wohl nur dem Umstand zu verdanken, dass man hierzulande ohnehin einen recht kreativen Umgang mit Bebauungsvorschriften pflegt – der maßgeblichen persönlichen oder wirtschaftlichen Interessen im Ernstfall auch gegen unliebsame Planungen zum Durchbruch verhilft.

Die Gesinnung jener Jahre bringt sehr gut der Bebauungsplan für Wiens prominentestes Stadtentwicklungsprojekt der 90er-Jahre, der Donau City, zum Ausdruck. Auf die Frage, warum der Plan für das von Banken und Versicherungen entwickelte Hochhausviertel so wenige Inhalte aufweise, hieß es aus dem Rathaus, dass man der Kreativität der Architekten nichts in den Weg legen wolle. Schon nach Kurzem zeigte sich, dass man vor allem der Kreativität der Investoren nichts in den Weg gelegt hatte, um selbst die minimalen Qualitätsziele für die Donau City zu umgehen.

Trotz zahlreicher weiterer urbanistischer Banalitäten oder gar Desaster seither, hält sich dieses Laissez-faire zumindest in Wien bis heute. So hieß es zur Rechtfertigung des heftig umstrittenen Hochhausentwurfs am Heumarkt aus dem Munde des Wettbewerb-Jurors Wilfried Kuehn, dass es grundsätzlich besser sei, „keine engen städtebaulichen Vorgaben festzulegen, sondern Freiheit für die Architektur zu schaffen, damit aus dieser ein spezifischer Städtebau entwickelt werden kann“. Im Reitsport nennt man so etwas, ein Pferd von hinten aufzuzäumen.

Im gegenwärtigen heimischen Stadtplanungsdiskurs kommt man mit derartigem Nonsens aber problemlos durch. „Festgelegte Höhen und Baumassen“, so der damalige Professor für Ausstellungsdesign und kuratorische Praxis (sic!), seien nämlich „so probat wie ein Fünfjahresplan, eine Illusion, der zu widersprechen ist“, zumal „ein Masterplan immer abstrakt und wirklichkeitsfremd bleiben wird“. Planungsfloskeln wie diese haben die sachliche Auseinandersetzung mit dem konzertierten Weiterbauen der Stadt weitgehend verdrängt. Während andere Bahnbrecher des Heumarktturms ohne greifbare Argumente noch von einem „positiv zu bewertenden Höhenakzent“ oder einem „identitätsstiftendes Gebäude mit Leitfunktion und Signalwirkung“ schwafelten, setzte das Rathaus in seinem Bebauungsplan exakt das um, was der Investor von Anfang an wollte – wodurch der Plan von einem vorausschauenden, gestaltenden zu einem nachvollziehenden, rechtfertigenden Instrument wird.

Dabei war die Donaumetropole einst internationales Vorbild in Sachen Städtebau und gesamtstädtischer Planung. Die Entwürfe von Otto Wagner und Josef Stubben zum sogenannten Generalregulierungsplan für Wien aus dem Jahr 1893 (im Übrigen das letzte drei­dimensionale Konzept für die gesamte Stadt), fanden ebenso weltweit Beachtung wie Wagners Studie von 1911 mit dem Titel „Die Großstadt“, in der er einen detaillierten Entwurf für einen idealen XXII. Bezirk ausarbeitete.

Jedwede „Kakophonie unterschiedlichster Bauten, die sich gegenseitig zu übertrumpfen versuchen“ war ihm ein Gräuel, und so versuchte er, dem beliebigen Durcheinander seine Vision einer nach bestimmten Gesetzmäßigkeiten geplanten, ganzheitlich entwickelten Stadt entgegenzustellen: ein Stadtkontinuum mit einer funktional durchmischten, geschlossenen Blockrandbebauung aus sieben- bis achtgeschossigen Wohnhäusern, Warenhäusern und großen Werkstatthöfen, mit öffentlichen Gebäuden und Hotels in jedem Stadtteilzentrum, mit großzügigen Plätzen und Parks sowie einem dichten Netz an öffentlichen Verkehrsmitteln. Denn, so Wagner, es gehe nicht an, „die Stadt dem Grundwucher, dem blinden Zufall und der völligen künstlerischen Impotenz“ oder gar „der Macht des Vampyrs Spekulation“ zu überlassen.

Auch wenn Wagners Visionen vielfach Papier geblieben sind, so hat es Wiens gründerzeitliche Stadtplanung doch geschafft, für die damaligen Neubauviertel eine robuste Struktur vorzuschreiben, in der Bauten unterschiedlichster Nutzung Platz fanden – und die ungeachtet aktueller Grundstücksverfügbarkeit oder individueller Investorenwünsche strikt einzuhalten war.

Investorenstädtebau statt Nutzungsmischung

Der 22. Bezirk unserer Tage bildet geradezu die Antithese zu Wagners Entwurf: Wiens wichtigster Stadterweiterungsbezirk ist nicht mehr als eine heterogene Abfolge inselhafter Projekte. Wo immer Gärtnereien in Bauland umgewidmet werden, schießen neue Siedlungssplitter aus dem Boden. Selten bieten diese aber auch städtebauliche Anschlussmöglichkeiten für spätere, angrenzende Bauvorhaben – sie genügen in erster Linie sich selbst.

Auch in den meisten anderen Städten Österreichs wird der Begriff Städtebau heute missverstanden, wenn nicht ignoriert – und hat der Bebauungsplan seine Funktion als langfristiger Rahmen für eine homogene dreidimensionale Entwicklung des Stadtkörpers verloren. So verwundert es nicht, dass Aspekte wie die Ensemblewirkung entlang eines Straßenzugs, sozial verträgliche Bebauungsdichten oder die rücksichtsvolle Einbettung eines Neubaus in den umgebenden Bestand vielerorts unter die Räder gekommen sind.

Dabei scheint angesichts der großmaßstäblichen, monofunktionalen Komplexe, die den öden „Investorenstädtebau“ unserer Zentren und damit auch den öffentlichen Raum zunehmend bestimmen,    »
eine wirkungsvolle Bebauungsplanung wichtiger denn je – um von den Bauträgern endlich jene Kleinteiligkeit und Nutzungsmischung einzufordern, die eine allseits erwünschte Urbanität, die lebenswerte Städte ursächlich ermöglichen. Dies wäre nicht nur aus ästhetischer Sicht wünschenswert, sondern in Hinblick auf kürzere Wege und damit auf eine notwendige Autounabhängigkeit der Stadt von morgen auch von immenser ökologischer Bedeutung.

Nun ist man in Österreich bei der Forderung nach einer konsequenteren Stadt- und Ortsplanung rasch mit allerlei Bedenken konfrontiert: von Politikern, die vorgeben, dass sie damit Wähler und Investoren vergrämen würden; von Bauträgern, die lamentieren, dass sich ihre Projekte in anderer Größe und Gestalt nicht rechnen würden; von Architekten, die meinen, in allzu engen Korsetten keine qualitätsvolle Architektur zustande zu bringen. Doch zeigen urbanistisch selbstbewusstere Städte und Gemeinden, dass planerische Verantwortung weder den amtierenden Politikern noch den Bauherren zum Schaden gereicht – und genau in diesen Kommunen vielbeachtete Architektur entsteht.

Best Practice Salzburger Gestaltungsbeirat

Das beste Beispiel dafür ist die Stadt Salzburg, die seit drei Jahrzehnten eine für Österreich geradezu untypische Qualitätsorientierung in der Stadtentwicklung verfolgt. Das wesentlichste Instrument der städtebaulichen Planung ist dabei – neben der sogenannten Architekturbegutachtung – der zweistufige Bebauungsplan. Dieser enthält in seiner Grundstufe, in welcher er für das gesamte Bauland im Stadtgebiet besteht, lediglich Mindestaussagen wie die durchschnittlich mögliche Höhe, einen allgemeinen Dichtewert, die Baufluchtlinie zur Straße hin oder auch die zulässigen Nutzungen – was sowohl Anrainern als auch Investoren ausreichend Rechtssicherheit bietet.

Einen sogenannten Aufbaustufen-Bebauungsplan erarbeitet die Stadtplanung – im Wohnbau ab 2.000 Quadratmetern Bruttogeschoss­fläche, im Gewerbebau ab 15.000 Kubikmetern Bauvolumen – erst nach einem konkreten Projektantrag auf Basis eines Vorentwurfs. Darin werden die genauen Höhen und Baufluchten, die Gestaltung der Fassaden und der Grünflächen oder auch eine etwaige Tiefgaragenpflicht festgeschrieben und noch viele andere Inhalte fixiert, die in einem klassischen einstufigen Bebauungsplan niemals festzulegen wären. Die übergeordneten Vorgaben der B-Plan-Grundstufe stehen dabei aber nie zur Diskussion.

Die in den Planungsprozess mit einbezogenen Bauwerber wissen um die Notwendigkeit, die Ziele der Stadt zu erfüllen, da ihr Projekt ansonsten die seit den 1980er-Jahren für alle Baumaßnahmen verpflichtende Architekturbegutachtung nicht bestehen würde.
Diese erfolgt bei größeren Projekten durch den mit unabhängigen internationalen Experten besetzten Salzburger Gestaltungsbeirat sowie bei kleineren Bauvorhaben durch unterschiedlich umfangreiche Fachgremien aus magistratsangehörigen und freien Planern und Bausachverständigen. In all diesen Fällen nutzt die Stadt die Architekturbegutachtung nicht nur zur Kontrolle der Einhaltung von Plänen und Vorschriften, sondern auch, um die Erfüllung ihrer Qualitätsvorstellungen mit den Bauherren auszuverhandeln. Als Basis dafür dient unter anderem das räumliche Entwicklungskonzept, das relativ genaue stadtplanerische und städtebauliche Vorgaben wie Leithöhen, Leitdichten oder auch die maximale Gebäudelänge entlang der Straße vorgibt und eine rechtlich bindende Verordnung darstellt.

Best Practice Innsbrucker Planer-Wettbewerbe

Seit mehr als zehn Jahren handhabt auch die Stadt Innsbruck ihre Bebauungsplanung mit vorbildlicher Konsequenz. Wann immer ein größeres Projekt eine Abänderung der bestehenden, rechtskräftigen Pläne erfordert, verlangt das Stadtplanungsamt die Durchführung eines Architektur- oder Städtebauwettbewerbs, dessen Ergebnisse vertraglich abgesichert werden. Auch bei kleineren Bauvorhaben verknüpft der Magistrat jede Bebauungsplanänderung mit einem sogenannten Projektsicherungsvertrag, sprich einem zivilrechtlichen Dienstbarkeitsvertrag zur Absicherung vereinbarter Inhalte: Diese gehen viel weiter ins Detail als die Bestimmungen eines Bebauungsplans oder des Baugenehmigungsverfahrens und können auch Grundrisse, die Freiflächengestaltung oder den Lärmschutz betreffen.

Die mehr als 100 Verträge, die Innsbruck mittlerweile abgeschlossen hat, erzeugten ein spürbar partnerschaftliches Klima zwischen Stadtplanungsamt und Bauwerbern, die dieses Procedere bisher ohne Ausnahme gutgeheißen haben. Hohe Baukultur war schließlich immer ein Zusammenspiel öffentlicher und privater Akteure. Es ist höchste Zeit, dass auch im restlichen Österreich die planungspolitisch Verantwortlichen ihre unabdingbare Rolle in diesem Spiel wieder einnehmen.