Wohnbau
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Der Entwurf zur WEG Novelle 2022 aus Sicht der ÖVI-Experten

Im Regierungsübereinkommen 2020 - 2024 ist u.a. als Ziel vereinbart, das right to plug im Wohnrecht zu etablieren. Doch es geht nicht nur um Ladestationen für Elektroautos. Ein ganzes Bündel an Maßnahmen soll dazu beitragen, die Energiewende in den Bestandsimmobilien zu unterstützen. Dass es aber generell im Wohnungseigentum zu wesentlichen Änderungen kommt, ist im bisherigen öffentlichen Diskurs nicht abgebildet.

Mehr als 650.000 WE-Objekte österreichweit sind davon erfasst. Gleich zwei wichtige Mechanismen der Willensbildung im Wohnungseigentum werden von der Novelle nämlich grundlegend modifiziert:

  • das Einstimmigkeitsprinzip etwa bei Änderungen, die ein einzelner Wohnungseigentümer durchsetzen möchte. Dies soll bei bestimmten Maßnahmen durch eine Zustimmungsfiktion ersetzt werden.
  • Die Berechnung der Mehrheit nach Anteilen soll durch ein Alternativmodell ergänzt werden, das auch einer qualifizierten Minderheit von Wohnungseigentümern beispielweise die Umsetzung von Renovierungsmaßnahmen ermöglichen soll. Ergänzend dazu sind neue Regeln für die Weitergabe der Kontaktadressen der Wohnungseigentümer geplant, ebenso die Möglichkeit von Hybridversammlungen.
  • Den Zielsetzungen des EU Green Deal folgend, wird auch eine Mindestrücklage mit einem fixen Betrag angepeilt. Doch was heißt das im Detail?

Schweigen als Zustimmung – die neue Einstimmigkeit

  • Für bestimmte Maßnahmen, die an sich nur einstimmig oder auf dem Ersatzweg durch Beschluss des Außerstreitrichters gegenüber den anderen Wohnungseigentümern „durchgesetzt“ werden können, sollen ab 2022 neue Regeln gelten. Die Zustimmung der anderen Wohnungseigentümer soll als erteilt gelten, wenn diese von der geplanten Änderung durch Übersendung verständigt werden und der Änderung nicht innerhalb von zwei Monaten nach Zugang der Verständigung widersprechen.
  • Ein solches „Schweigen als Zustimmung“ soll nach dem neuen § 16 Abs gelten für

    # die behindertengerechte Ausgestaltung eines Wohnungseigentumsobjekts oder von allgemeinen Teilen der Liegenschaft,
    # die Anbringung einer Vorrichtung zum Langsamladen eines elektrisch betriebenen Fahrzeugs,
    # die Anbringung einer Photovoltaikanlage an einem als Reihenhaus oder Einzelgebäude errichteten Wohnungseigentumsobjekt,
    # die Anbringung von sich in das Erscheinungsbild des Hauses harmonisch einfügenden Vorrichtungen zur Beschattung eines Objekts sowie
    # der Einbau von einbruchsicheren Türen
  • Klargestellt werden soll aber, dass der Wohnungseigentümer die damit verbundenen Kosten und Folgekosten zu tragen hat.

Relative Mehrheit bei Beschlüssen: jede abgegebene Stimme zählt, 1/3 der Anteile reicht

Ein viel tiefgreifender Punkt der vorliegenden Novelle ist aber die Erleichterung der Mehrheitsermittlung.

Bisher war für einen Beschluss der WE-Gemeinschaft eine (einfache) Mehrheit von mehr als 50% aller Miteigentumsanteile erforderlich. Neben die bisherige Möglichkeit der Beschlussfassung durch die (Anteils-)Mehrheit tritt nun eine zweite Variante: Für einen wirksamen Beschluss ist auch eine Mehrheit von zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen ausreichend, sofern diese Mehrheit zumindest einem Drittel aller Miteigentumsanteile entspricht. Wohnungseigentümer, die sich nicht an der Abstimmung beteiligen, haben in Zukunft weniger bremsende Wirkung als bisher. Eine qualifizierte Minderheit von WE (1/3 aller Anteile) kann Beschlüsse erwirken.

Dazu ein Beispiel:

Eine Gruppe engagierter Wohnungseigentümer*innen möchte wieder einen fixen Hausbetreuer anstellen. An einem diesbezüglichen Beschluss beteiligen sich zB 36 % aller Eigentümer (nach Anteilen) und befürworten alle diesen Vorschlag. Wenn nun die übrigen Wohnungseigentümer einen neuerlichen Beschluss initiieren, an dem sich zwar wieder nur 40% aller Anteile beteiligen, sich aber insgesamt 35% (d.h. mehr als ein Drittel aller Miteigentumsanteile) für die Beauftragung einer externen Hausbetreuungsfirma aussprechen, sieht man die komplexe Dynamik dieses Abstimmungsprozesses. In beiden Fällen wären gültige Beschlüsse gefasst worden, die sich eben inhaltlich auch widersprechen können.

Der ÖVI unterstützt grundsätzlich den Vorschlag einer relativen Mehrheitsbildung, weil dadurch die Mehrheitsfindung erleichtert wird. Wenn sich überwiegend Befürworter für eine bestimmte Sache am Beschluss beteiligen, reicht auch bereits eine Drittelmehrheit für einen Mehrheitsbeschluss. Was passiert, wenn kurz darauf eine neuerliche Beschlussfassung initiiert von einer anderen Gruppierung von Wohnungseigentümer etwas anderes ergibt? Unklar bleibt, wie mit solchen Patt-Situationen umzugehen ist.

Diese Änderungen bergen leider viel Stoff für Diskussion im Nachhinein, die sicherlich zu vermehrten Beschlussanfechtungen führen werden. Nicht von ungefähr ist im Gesetz eine verpflichtende Information über die neuen Beschlussregeln vorgesehen. Die schweigende Mehrheit ist jedenfalls gut beraten, sich zu engagieren. Ein Mindestquorum für die Beteiligung (50%) wäre jedoch hilfreich, um zumindest Patt[1]Situationen zu vermeiden.

Überbordender Datenschutz in einer Schicksalsgemeinschaft

Um Beschlussfassungen in der Praxis zu erleichtern, soll der Verwalter verpflichtet werden, die Kontaktdaten der übrigen Wohnungseigentümer zu diesem Zweck zur Verfügung zu stellen, nämlich Namen und Zustellanschriften der Wohnungseigentümer, an die der Verwalter auch Übersendungen nach § 24 Abs 5 WEG vornimmt, also jene Adressen, die ihm bekannt gegeben wurden. Noch ist im Gesetzesentwurf vorgesehen, dass der Verwalter für die Weitergabe von E-Mailadressen die Zustimmung einholen muss.

Insbesondere für diesen Fall, dass der Wohnungseigentümer dem Verwalter für die Verständigung eine elektronische „Kontaktadresse“ bekanntgibt, sollte der Verwalter auch davon ausgehen dürfen, dass – solange der Wohnungseigentümer nicht widerspricht bzw. eine Alternativadresse bekannt gibt – diese Kontaktadresse auch zur Weitergabe im Rahmen der den Verwalter treffenden Auskunftspflicht herangezogen werden darf, ohne dafür eine gesonderte Zustimmung einholen zu müssen (wie dies leider eine aktuelle Entscheidung des BVwG zu W211 2227660-1/9E nahelegt).

Konsequenterweise ist der Wohnungseigentümer vom Wohnrechtsgesetzgeber in die Pflicht zu nehmen und sollte gesetzlich verpflichtet werden, dem bestellten Verwalter eine Zustelladresse (egal ob postalisch oder elektronisch) bekanntzugeben, über die der Verwalter auf Anfrage von Miteigentümern zum Zwecke der Verständigung der übrigen Miteigentümer Auskunft geben darf.

Hybridversammlungen – außer Spesen nichts gewesen

Die in § 25 Abs 2a WEG eingefügte Bestimmung räumt dem Verwalter die Befugnis ein, Wohnungseigentümern die Teilnahme an einer Präsenzversammlung auch über eine elektronische Zuschaltung zu ermöglichen (Hybridversammlung). Reine online-Meetings sind aber für eine Beschlussfassung nicht vorgesehen. Mehr als eineinhalb Jahre online-Praxis haben gezeigt, dass gut funktionierende Hybridversammlungen mit Einbindung aller Teilnehmer in die Diskussion technisch aufwändig und kostenintensiv sind.

Wenn man bedenkt, dass – wie es etwa die aktuell zur Begutachtung aufliegende Zivilprozessnovelle (Zivilverfahrens-Novelle 2021 – ZVN 2021) vorsieht – künftig auch mündliche Gerichtsverhandlungen mittels Videotechnologie anberaumt werden können, ist nicht nachvollziehbar, warum dies nicht auch für Eigentümerversammlungen gelten könnte.

Mindestrücklage – darf es bisschen weniger sein?

Die Mindestrücklage ist von der Idee her sicher gut gemeint, doch die Umsetzung ist noch zu wenig ausgegoren nach Ansicht der ÖVI-Experten: Kritisch zu hinterfragen ist der Ausnahmekatalog, wann die Mindestdotierung – ausnahmsweise – unterschritten werden darf. Dieser ist aus unserer Sicht zu unbestimmt und birgt die Gefahr, dass Verwalter so unter Druck gesetzt werden können, geringere Beträge vorzuschreiben.

Die Ausnahmen, wann die Vorschreibung einer Mindestrücklage unterschritten werden darf, sollten auf einer objektivierbaren Grundlage festgelegt werden. Kriterien wie das „besondere Ausmaß der bereits vorhandenen Rücklage“ sowie „eine erst kürzlich zugrundeliegende durchgreifende Sanierung“ sind aus unserer Sicht zu unscharf. Wenn eine durchgreifende Sanierung eine Unterschreitung rechtfertigen soll, dann müsste eine solche Ausnahme konsequenterweise auch für Neubauten gelten. Eine andere Möglichkeit bestünde darin, den Mindestbetrag für diese Objekte für eine bestimmte Dauer mit der Hälfte anzusetzen.

Fraglich bleibt aber, ob selbst mit genaueren Definitionen der notwendigen Flexibilität im WEG entsprochen werden kann. Eine Mindestrücklage wird in vielen Fällen einen sinnvollen Sockel für die Abdeckung des erwartbaren Erhaltungsaufwands bilden, in Zeiten von Niedrigzinsen wird es aber auch nicht zielführend sein, zu hohe Rücklagen anzuhäufen, wenn diese nicht benötigt werden. In diesem Zusammenhang wären auch etwaige Vereinbarungen im WE-Vertrag, wonach die Wohnungseigentümer die Erhaltung und Instandsetzung allgemeiner Teile übernommen haben, entsprechend zu berücksichtigen, wie dies häufig bei Reihenhausanlagen der Fall ist.

Vor dem Hintergrund, dass das Abgehen vom angedachten gesetzlichen Mindestmaß der Dotierung auch einen Pflichtverstoß für den Verwalter begründet, regt der ÖVI an, dass eine qualifizierte Mehrheitsweisung von 2/3 der Eigentümer den Verwalter von dieser Verpflichtung entbinden können soll. Wie ist nun das weitere Prozedere? Das umfassende Begutachtungsverfahren inkl. Expertengespräche im Justizministerium ist abgeschlossen, noch im Herbst soll die parlamentarische Behandlung erfolgen.

Anliegen des ÖVI ist es, die Anliegen der Novelle noch konsumentenfreundlicher und praxisnäher auszugestalten: Hier der Link zur Stellungnahme des ÖVI:

https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXVII/SNME/SNME_110138/index.shtml