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Herz-Armaturen Eigentümer Gerhard Glinzerer: "Die aktuelle Situation ist total verrückt"

Gerhard Glinzerer stieg 1989 ins Unternehmen ein und schmiedete aus einem angeschlagenen Armaturen-Hersteller eine weltweit tätige Firmengruppe, die heute Armaturen, Biomasseanlagen und Wärmepumpen sowie Dämmstoffe herstellt. Das 125-Jahre-Jubiläum der Herz-Gruppe fällt in turbulente Zeiten. Im März 2020 – dem Beginn der Pandemie – verzeichnete das Unternehmen den stärksten Umsatzmonat der Firmengeschichte, ein Jahr später explodieren die Rohstoffpreise und die Branche sieht sich mit Lieferschwierigkeiten konfrontiert.

a3BAU: Beginnen wir mit dem aktuellen Thema Corona. Derzeit gibt es große Turbulenzen auf den Weltmärkten. Inwiefern sind Unternehmen der weltweit tätigen Herz-Gruppe von den aktuellen Lieferproblemen betroffen?

Gerhard Glinzerer: Der März 2020 war der umsatzstärkste Monat in der Firmengeschichte. Und wir haben heute eine Situation, die ich so noch nicht erlebt habe. Wir haben Probleme Grundstoffe wie Granulat zu bekommen, teilweise gibt es zwei bis drei Monate Lieferzeit für normale Kunststoffspritzteile, ebenso gibt es Schwierigkeiten bei der Beschaffung von Granulat für unsere Dämmstoffsparte Hirsch Servo. Auch bei elektronischen Produkten, die wir von deutschen und Schweizer Firmen beziehen, die wiederum ihre Elektronikteile aus dem Fernen Osten oder Indien geliefert bekommen, gibt es auf einmal bis zu vier Monate Lieferzeit. Es ist total verrückt, muss ich sagen.

Und wie beurteilen Sie die Preissituation?

Lieferzeit und Preise explodieren. Stahl für die Kesselproduktion zum Beispiel stieg um 50 Prozent und mehr. Im Armaturenbereich sind wir mit Preissteigerungen von zehn bis 20 und mehr Prozent konfrontiert, quasi über Nacht. Hier kommt ein ganz massiver inflationärer Schub im Baubereich auf uns zu. Wir müssen diese Kostensteigerungen zwangsläufig weiterreichen, zur geringen Freude unserer Kunden.

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Gerhard Glinzerer im Interview mit a3BAU-Chefredakteurin Sabine Müller-Hofstetter (© jollyschwarzphotography)

Es ist in diesem Zusammenhang immer wieder die Rede davon, dass Europa die Lieferketten überdenken muss. Aber ist das bei einem Konzern wie Ihrem überhaupt möglich?

Im Bereich der Armaturen haben wir sehr viele Produktionsschritte ins Haus geholt – wir können heute lasern, kanten, drehen, fräsen, erodieren, pressen, schweißen, gießen, lackieren und so weiter. Aber wir haben natürlich keine Kupfermine und wir sind kein Elektronikproduzent oder nicht im notwendigen Umfang. Wir verfügen über eine Elektronikfertigung in Serbien, die ausgebaut werden kann, aber am Zukauf führt kein Weg vorbei. Wenn man die Medienberichte verfolgt, so werden viele Milliarden investiert, um die Chipfertigung zurück nach Europa zu holen. Die Auswirkungen werden wir vielleicht in zwei, drei Jahren in Form von Preissenkungen spüren, wenn es diese Produkte dann vielleicht im Überschuss gibt. Aber derzeit leiden wir aufgrund der nicht verfügbaren Komponenten für unsere Produktion. Zusammengefasst: Wir versuchen in vielen Bereichen nicht abhängig zu sein, aber ganz gelingt es natürlich nicht.

Sie sind 1989 bei Herz Armaturen eingestiegen, kommen aber ursprünglich aus dem Finanzbereich einer Industrieholding. Woher die Begeisterung für Armaturen und Energietechnik?

Ich habe als Steirer in Graz BWL und Jus studiert, bin 1980 nach Wien gekommen, habe also Migrationshintergrund (lacht). Von 1982 bis 1989 war ich bei der Montana AG der Familie Kahane als Finanzvorstand beschäftigt. Zusammen mit einem Kollegen aus der Montana AG, dessen Vater Generaldirektor der Österreichischen Armaturengesellschaft (ÖAG) war, habe ich ein Unternehmen gesucht, das man übernehmen könnte. Das war der Einstieg. Ich hatte zu diesem Zeitpunkt keine Ahnung von Armaturen.

Bei Ihrem Einstieg stand das Unternehmen auf allem anderen als soliden finanziellen Beinen – wie gelang der Turnaround?

Als ich 1989 das Unternehmen übernommen habe, gab es eigentlich nur die Herz Armaturen Wien mit einem Montagestandort in der Steiermark und einem Jahresumsatz von ungefähr 14 Millionen Euro. Heute ist die Herz-Gruppe mit rund 3.500 Mitarbeitern und 40 Produktionsstandorten weltweit vertreten. Unseren Umsatz von knapp 500 Millionen Euro erzielen wir über eine breite Produktpalette, weit über Armaturen hinaus. Wesentlich für diese Entwicklung war, dass sich mit dem Ende des Kommunismus Osteuropa geöffnet hat. Mit dem Osten war ein neuer Markt da, der dem Unternehmen mit damals vielen Schulden und wenig Sicherheiten für die Bank das Überleben sicherte. Im Nachhinein betrachtet ein wahnsinnig riskantes Unternehmen, aber es ist aufgegangen.

Das Unternehmen steht heute nicht nur für Armaturen, sondern für viele Bereiche der Gebäudetechnik. Geben Sie uns einen Überblick …

Im Wesentlichen gibt es drei Bereiche: Energietechnik, Armaturen und Dämmstoffe. In der Energietechnik bieten wir ein umfangbreites Programm für erneuerbare Energiesysteme und treten unter den Marken Herz und Binder auf. Mit Wärmepumpen zum Heizen und Kühlen sowie mit biogen befeuerten Kesseln bis 15.000 kW zur Erzeugung von Wärme, Dampf oder Strom samt dem Know-how zur thermischen Verwertung von Sonderbrennstoffen wie Hühnermist ist Herz hier breit aufgestellt. Im Bereich Armaturen bieten wir Wohnungsübergabestationen und Fernwärmestationen, elektronische Regelungen, Radiatoranschlüsse, Thermostatventile und Thermostatköpfe, Fittinge und Rohre, Absperrarmaturen sowie statische und dynamische Regelarmaturen zum Teil bis DN 500 für die Bereiche Heizung, Kühlung, Sanitär und Gasinstallationen an. Die Hirsch Servo AG produziert Verpackungen sowie Dämmstoffe für den Baubereich aus expandiertem Polystyrol, Polypropylen und Polyethylen. Einen unmittelbaren Konnex zum Bereich Armaturen bilden Noppenplatten und Tackerplatten für Flächenheizung und Kühlung. Mit Partnern sind wir heute weltweit präsent, von Vancouver im Westen Kanadas bis zu den Inseln der Südsee.

Spüren Sie, dass durch den Nachhaltigkeitstrend Investoren andere Produkte nachfragen?

Im Bereich Armaturen bewegt sich der Markt sehr stark Richtung Flächenheizung und -kühlung. Dies gilt natürlich auch für unsere Auslandsmärkte. Wir hatten gerade am Vormittag mit unserem rumänischen Geschäftsführer eine Videokonferenz, auch in Rumänien gibt es gar nichts anderes mehr als Fußbodenheizung. In einzelnen Städten sind bei Neubauten Gasthermen mittlerweile unerwünscht. Die Osteuropäer überholen uns, würde ich sagen, mit ihrer Dynamik in vielen Bereichen. Der Trend geht aber auch bei uns zu kompletten Systemlösungen mit Wohnungsstationen, die zunehmend die Gastherme ersetzen, mit fertigen Anschlussgarnituren für Fan Coils etc. Sie haben einmal in einem Interview gesagt, „unsere Armaturen halten so lange, das ist eigentlich nicht förderlich für das Geschäft“ … Ja. Es gibt keine eingebaute Obsoleszenz (lacht). Hier habe ich einen Thermostatkopf der ursprünglichen Herstellerfirma Gebauer und Lehrner. Da das Unternehmen 1973 schon in Herz Armaturen umbenannt worden ist, können Sie sich vorstellen, wie alt der ist. Diese Thermostatköpfe kann man in Wien noch immer finden. Aber die Empfehlung in der Branche ist eigentlich schon, dass man diese Teile nach etwa 15 Jahren austauschen sollte, einfach wegen der Regelgenauigkeit.

Neubau oder Sanierung – wo liegt das größere Geschäft?

Das lässt sich pauschal nicht sagen. In Mitteleuropa überwiegt die Sanierung, wo Komponenten wie Radiatoren oder Armaturen im Zuge von Modernisierungen oder Standardverbesserungen ausgetauscht werden. Der Osten Europas bis Zentralasien ist beherrscht vom Neubau.

Die Sanierung ist für Sie ein wichtiger Umsatztreiber. Wie zufrieden sind Sie mit den Maßnahmen, die hinsichtlich Klimaschutz momentan von der Regierung gesetzt werden?

Ich glaube, es gibt da schon eine Agenda, die Frau Gewessler von allen Regierungsmitgliedern am toughesten und ziemlich strikt verfolgt. Für uns werden sich viele der angekündigten Maßnahmen positiv auswirken. Auf der anderen Seite: Wir machen nur ungefähr zehn Prozent des Konzernumsatzes in Österreich. Für uns sind mittlerweile andere Länder wesentlich relevanter.

Sie haben vorhin bereits Osteuropa angesprochen – warum läuft es in diesen Ländern so gut?

Da waren wir zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Vor der Wende wurde im Sowjetsystem Heizenergie vom Staat unentgeltlich geliefert. Ab den 1990er-Jahren musste für Energie bezahlt werden, im Neubau wollte man natürlich moderne Ausstattungen haben. Damit war das Ende der senkrechten Einrohrheizungen eingeleitet. Planer waren mit diesen Änderungen sehr oft überfordert, wir haben zahllose Schulungen durchgeführt, Bücher geschrieben, Delegationen nach Österreich eingeladen.

Und damit quasi den Markt für sich aufbereitet?

Ja, natürlich. Wir haben uns aber auch sehr intensiv für den gebäudetechnischen Nachwuchs engagiert und sind mit dortigen Ausbildungsstätten in Kontakt getreten. Es gibt faktisch in der ehemaligen Sowjetunion in jeder größeren Stadt eine Universität oder Akademie für Architektur und Bau. Wir haben daher auch im Osten ein viel geringeres Problem mit Technikern, die im Bereich Gebäudetechnik gut ausgebildet sind, ganz im Gegensatz zu Österreich. Wir haben Handbücher im Bereich Hydraulik für Studenten, aber auch Planer zur Verfügung gestellt. Unser Buch „Das Herz der Warmwasserheizung. Die Hydraulik“ wurde in 15 Sprachen übersetzt, zuletzt ins Türkische und Georgische. Literatur und Unterlagen von Herz sind in zahlreichen Ländern fester Bestandteil in der Ausbildung von Gebäudetechnikern.

Sie sind seit kurzem im Vorstand des Zukunftsforums SHL. Braucht es so ein Forum, weil die Haustechnik in der Diskussion ums nachhaltige Bauen – wo meistens über Baustoffe gesprochen wird – unterbewertet ist?

Auch das ist eher ein Thema in Österreich, würde ich sagen. Man kann durchaus von mangelnder Wertschätzung von Gebäudetechnik und Gebäudetechnikern sprechen Ich habe vieles in Osteuropa anders erlebt. Maßnahmen zur Verbesserung der Energieeffizienz wurden in den 1990er-Jahren in zahlreichen Ländern mit großflächiger Sanierung von Heizungsanlagen, sprich Einbau von Thermostatventilen und Strangregulierventilen vorgenommen. Diese Investitionen waren für die Wohnungsbesitzer leistbar und amortisierten sich faktisch in wenigen Jahren, im Gegensatz zu Investitionen etwa in die Fassade oder Fenster. Ehrlicherweise muss man aber sagen, dass die technische Ausstattung im Osten sehr viel schlechter war als bei uns. Energie zu kommunistischen Zeiten war unentgeltlich, daher waren die Investitionen in diesem Bereich nicht von Interesse. Österreich hatte natürlich eine wesentlich bessere technische Ausstattung, wobei ein hydraulischer Abgleich auch hier über viele Jahre ein Fremdwort war.

Also stimmt der Eindruck, dass die Haustechnik ein wenig das Stiefkind in der Gebäudebetrachtung ist …

Das kann man wohl so sehen, obwohl das ein Versäumnis unserer Branche ist, dass wir unsere Fähigkeiten, Möglichkeiten und Leistungen nicht ausreichend gut verkaufen. Architektur sieht man, die Gebäudetechnik ist im Schacht versteckt. Wir machen viel zu wenig bewusst, dass Gebäudetechnik – Heizen, Kühlen, Trinkwasser, Abwasser – die Voraussetzung für die Nutzung eines modernen Gebäudes ist.

Die Lebenszyklusbetrachtung rückt immer stärker in den Fokus, ist das ein Schwung in die richtige Richtung?

Ich glaube, das kommt. Ich muss aber auch hier wieder sagen, ich höre es viel intensiver aus anderen Ländern – Sie werden lachen –, aus Moskau. Baukonzerne wollen in Zukunft Gebäude selbst verwalten und sind nunmehr viel stärker interessiert, von Anfang an hochqualitative Produkte zu verwenden, um sich später Kosten zu sparen.

Muss da von politischer Seite mehr Druck kommen, wenn wir Green Building zum Standard machen wollen?

Die Politik wird sicher dem Zeitgeist Rechnung tragen, der sich Richtung Green Building bewegt. Es wird allerdings nicht einfach sein, leistbares Wohnen mit all den Möglichkeiten zu verbinden, die heute technisch machbar sind. Mit dem breiten Produktprogramm unserer Firmengruppe sind wir natürlich in der Lage, alle notwendigen Produkte für die unterschiedlichsten Bauvarianten zu liefern, sei es Heizen, Kühlen oder Dämmen.

Gutes Stichwort. Mit behaglichem Wohnen wird meist argumentiert, wenn es ums Dämmen geht. Mit Hirsch Servo bieten Sie auch Dämmstoffe an. Wie läuft diese Sparte?

Die Kärntner Hirsch Servo-Gruppe, die 2014 von Herz übernommen wurde, war damals faktisch insolvent. Sukzessive wurden Standorte in Rumänien, der Ukraine, Deutschland, Frankreich und Tschechien übernommen oder neue errichtet, darunter eine Reihe von Standorten des Saint-Gobain-Konzerns in Deutschland und Frankreich. Mittlerweile ist daraus unter dem Vorstand Harald Kogler ein sehr erfolgreiches Unternehmen mit 30 Standorten, 1.700 Mitarbeitern und einem Umsatz von knapp 300 Millionen Euro geworden, der größte Verarbeiter von Polystyrol in Europa.

Wobei klassische Dämmstoffe für die Außenwand nur ein Teil des Produktportfolios sind …

Der Bereich, der uns 2014 bei der Übernahme von Hirsch Servo vor allem interessiert hat, war der Bereich Fußbodenheizung. Noppenplatten und Tackerplatten sind wesentliche Elemente einer Fußbodenheizung. Schwerpunkt der Hirsch-Aktivitäten in Osteuropa waren seinerzeit vor allem Verpackung für Weißware und Elektronik. Dieser Bereich ist mittlerweile durch Faserguss ergänzt worden. Die Übernahmen von Produktionsstätten in Deutschland und Frankreich haben das Gewicht in Richtung Baustoffe sehr stark verlagert. Etwas kurios ist der Nachfrageboom bei Swimmingpool-Schalungssteinen als Folge der Corona-Pandemie.

Hat EPS in Österreich ein Imageproblem?

Bei gewissen Bevölkerungsschichten mag das zutreffen und wurde sicher auch von Interessensgruppen und Mitbewerbern thematisiert. Klar ist, dass wir uns mit der Wiederverwertung von gebrauchten EPS-Teilen, zum Beispiel Verpackung, intensiv beschäftigen. Dies bedeutet einerseits das Sammeln von gebrauchtem EPS und vor allem die Aufbereitung zu wiedereinsetzbarem EPS-Granulat. Unsere tschechische Tochtergesellschaft betreibt bereits eine derartige Anlage und wir sind auf gutem Weg, gebrauchtes EPSMaterial als Wertstoff betrachten zu können. Und letztlich ist unbestreitbar, dass der Nutzen von EPS in den Bereichen Dämmung, Verpackung und Transportschutz unerreicht ist und keinen Vergleich zu konkurrierenden Materialien zu scheuen braucht. Aufgabe der gesamten Branche ist es, dafür Sorge zu tragen, dass ein entsprechendes Kreislaufsystem aufgebaut, Material recycelt und wiederverwertet wird.

PorträtDr. Gerhard Glinzerer

ist geschäftsführender Gesellschafter der Herz Industries GmbH, studierte Betriebswirtschaftslehre und Rechtswissenschaft in Graz und war dann einige Jahre Finanzvorstand in der Montana AG der Familie Kahane, bevor er 1989 Herz Armaturen übernahm.