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Logistik Baustoffhandel: "Wer digitalisiert, hat die Nase vorn"

Die Herausforderungen an die Logistik im Baustoffhandel steigen. Der Verband der Baustoffhändler Österreichs (VBÖ) ist darauf bestens vorbereitet: Ein groß angelegtes Projekt zur Daten-Standardisierung konnte jüngst abgeschlossen werden. Nun widmet man sich den Themenbereichen der „Logistikdaten“ und des elektronischen Datenaustausches.

Die Corona-Pandemie machte das Geschäft für den Baustoffhandel im vergangenen Jahr – so wie für viele Branchen – nicht gerade einfacher. „Die Problemstellungen waren zunächst vor allem logistischer Natur“, erinnert sich VBÖ-Geschäftsführerin Susanne AignerHaas. „So war zu Beginn des ersten Lockdowns unklar, ob und wie eine Abholung vor Ort erfolgen kann. Die Umsetzung einer kontaktlosen Abholung stellte für unsere Mitgliedsbetriebe anschließend eine organisatorische Herausforderung dar.“

Im B2C-Geschäft etablierte sich im Jahresverlauf immer stärker Click & Collect. Aigner-Haas: „Einen Schub gab es hier insbesondere fürs Online-Geschäft. Manche Betriebe hatten schon vorher einen Schwerpunkt im E-Commerce gesetzt, andere fanden und implementierten rasch Lösungen, um an diesem wachsenden Geschäftsbereich teilzuhaben.“ Diese Verschiebungen im Hinblick auf die Vertriebskanäle dürften zum Teil auch nach einem hoffentlich baldigen Ende der Pandemie bestehen bleiben.

Insgesamt hätten die Veränderungen der jüngeren Vergangenheit die Rolle des Baustoffhandels als Logistikdrehscheibe und den dreistufigen Vertrieb gestärkt, so die Einschätzung der VBÖ-Geschäftsführerin. Während das Streckengeschäft leicht rückläufig gewesen sei, konnten im Lagergeschäft Zuwächse erzielt werden. Umsätze und Marktdaten fielen auch im ersten Quartal 2021 gut aus. „Es zeigt sich aber, dass verhalten geplant wird.“ Auslaufende Förderprogramme und steigende Insolvenzen könnten heuer und wohl auch noch im kommenden Jahr eine sinkende Investitionsneigung nach sich ziehen.

Beeindruckende Zahlen

Aufbruchsstimmung sollte hoffentlich spätestens mit der traditionsreichen Baustoffhandelstagung aufkommen. Diese findet am 16. und 17. September in Bad Loipersdorf statt. Ein willkommener Lichtblick nach einem Jahr 2020, in dem VBÖVeranstaltungen mehrfach geplant und verschoben werden mussten. Letztlich wich man in allen Bereichen auf digitale Alternativen wie Online-Generalversammlungen, Webinare, Online-Meetings und -Schulungen aus. Ein Schwerpunkt steht jetzt schon fest: „Wir werden unseren im Vorjahr gedruckten Logistik-Folder propagieren“, so Aigner-Haas. „Dieser verdeutlicht die essenzielle Funktion des Baustoffhandels für das verarbeitende Gewerbe.“

Konkret bevorratet der österreichische Baustoffhandel Waren im Wert von mehr als 500 Millionen Euro auf einer Gesamtlagerfläche von vier Millionen Quadratmetern für seine Kunden. Für deren Versorgung unternehmen die Handelsbetriebe jährlich mehr als eine Million Baustellenfahrten. Bis zu 1.800 Lkw sind dafür unterwegs, zwei Drittel davon mit Kran. Insgesamt sind über 100.000 Artikel bei den heimischen Baustoffhändlern gelistet. Rund ein Fünftel davon liegt auf Lager und steht daher rasch zur Abholung oder für die Anlieferung zu den Baustellen bereit. Das Resultat all dieser Anstrengungen sind hohe Verfügbarkeit, schnelle Bedienung und Belieferung sowie ein komfortables Einkaufserlebnis. Materialgerechter Transport und Anlieferung zur richtigen Zeit und in den gewünschten Mengen erfolgen fast bis zum Arbeitsplatz.

Zwischenziel im Digitalisierungsprojekt

Als leistungsstarker Partner vernetzt der Baustoffhandel die Industrie mit den Verarbeitern, Planern und Bauherren und versorgt Österreichs Baustellen mit allem, was gebraucht wird. Die Umsetzung dieser Aufgabe wird immer schwieriger: „Neue Reglementierungen, dichter werdender Verkehr, stark erhöhte Anforderungen in Bezug auf Nachhaltigkeit und Umweltschutz sowie spürbarer Kostendruck fordern unsere Mitglieder heraus“, weiß Aigner-Haas. „Darum arbeiten wir schon heute an der Zukunft der Logistik.“

Eine bedeutende Weichenstellung wurde dabei seitens des Verbands durch das Erarbeiten von Datenstandards vorgenommen. Das entsprechende Digitalisierungsprojekt läuft seit Ende 2018. 2019 wurden die von einem Arbeitskreis erarbeiteten standardisierten Artikelstammdaten bei einer Veranstaltung präsentiert. Die Vorgaben für die Artikelstammwartung werden inzwischen von vielen Unternehmen auch schon umgesetzt – und das durchaus im Eigeninteresse: „Wer’s umsetzt, hat die Nase vorn“, so die VBÖ-Geschäftsführerin.

Durch die sozialen Einschränkungen im Zuge der Corona-Pandemie geriet das Projekt anschließend etwas ins Stocken. „Im Arbeitskreis saßen insgesamt 23 Personen. Das macht die gemeinsame Meinungsfindung bei rein virtuellen Treffen fast unmöglich.“ Die Lösung des Problems war schließlich ein verkleinerter Arbeitskreis, der dafür in einem engen, 14-tägigen Rhythmus zusammentrat. So konnte die Standardisierung von Produktdaten sowie Bild- und Mediendateien rasch finalisiert und in einem Folder festgehalten werden.

Bereit für E-Commerce und BIM

„Das Ergebnis sind homogene, gut umsetzbare und zukunftssichere Beschreibungen der notwendigen und optionalen Produktdaten, Bild- und Mediendateien sowie des Attributsystems“, erzählt Otto Handle, der Geschäftsführer der Inndata Datentechnik GmbH. „Damit sollten alle aktuellen Anforderungen aus Baustoffvertrieb und E-Commerce ebenso gut abbildbar sein wie künftige Anforderungen wie etwa BIM.“

Attributsysteme ermöglichen die produktneutrale Beschreibung von Anforderungen an Baustoffe sowie die produktspezifische Beschreibung der Leistungsdaten eines bestimmten Baustoffes. Digital hinterlegt ist ein Attributsystem somit die Grundlage einer korrekten, zum Anwendungsfall passenden Produktauswahl und Leistungsdokumentation. Auf Kompatibilität wurde großer Wert gelegt, wie Handle erläutert: Das auf Business-Standards spezialisierte Unternehmen GS1 wurde von Beginn an in den Arbeitskreis eingebunden. „Auch wurde der Beschluss gefasst, sämtliche Artikel auf Basis von GTIN13 eindeutig zu kennzeichnen.“ Zu den in Deutschland gültigen Standards seien die österreichischen Standards ebenfalls weitgehend kompatibel.

Die Vorteile für den Handel aus Sicht des IT-Dienstleisters: „Die digitale Unterstützung des regionalen Baustoffanbieters sichert die Zukunftsfähigkeit der zumeist mittelständischen Familienbetriebe gegen Monopolisierungstendenzen ab.“ Der einzelne Händler profitiere von einer deutlichen Aufwandsreduktion im administrativen Bereich und von der Möglichkeit, auch als kleinerer Anbieter konkurrenzfähig in digitalen Medien bis hin zum Onlineshop aufzutreten.

Die Industrie wiederum müsse damit nur einen einzigen Standard anstatt vieler verschiedener Insellösungen unterstützen. Rund ein Viertel der infrage kommenden Industriebetriebe habe sich daher bereits zum neuen Standard bekannt und diesen umgesetzt – Tendenz stark steigend. „Saubere Artikeldefinitionen sorgen für mehr Bestellsicherheit. Irrtümer in der Bestellabwicklung werden verringert, was wiederum Kosten und Ärger spart.“ Standardisierte Stammdaten sind darüber hinaus eine notwendige Voraussetzung für sämtliche digitale Folgeprozesse bis hin zum elektronischen Datenaustausch EDI. „Auch davon profitieren alle drei Partner – Industrie, Handel und Gewerbe.“

Mittelfristig sind es jedoch Themen aus der Logistik, die die höchsten Anforderungen an Stammdaten und Systeme stellen. Zurzeit wird erhoben, welche Daten notwendig sind, um die Logistik bzw. das Lager- und Fuhrpark-Management zu optimieren. Welche besonderen Anforderungen – im Hinblick auf Gefahrenpotenzial, Ablaufdaten oder Übermaße – sind hier zu beachten? Auch für dieses Nachfolgeprojekt werden wieder Beteiligte aus Industrie und Handel an einen Tisch geholt.

Nachhaltigkeit in der Logistik

Eine weitere Herausforderung der Gegenwart und näheren Zukunft liegt im Recycling und in der Abfallvermeidung. Auch dies ist ein Feld, das in hohem Maße die Logistik betrifft. Was geschieht mit dem an der Baustelle anfallenden Verschnitt? Lassen sich möglicherweise Lieferwege verkürzen? Wie lässt sich der Fuhrpark leistungsfähig und doch emissionsarm gestalten?

Zum Stichwort Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft verweist VBÖ-Chefin Susanne Aigner-Haas beispielhaft auf die Mehrwegpalette, die durch den Handel stets im Kreislauf bleibt. Franz Hartmann, der mit Jahresende als Vertriebsdirektor bei Saint-Gobain Isover in Pension ging, sieht auch die Industrie in der Pflicht, wie er im „VBÖ-Jahresbericht 2020“ festhält: „Bei rund 18 Prozent der insgesamt 65 Millionen Tonnen Abfall des Vorjahres handelt es sich um Bau- und Abbruchabfälle. Wir müssen bei unseren Produkten daher bereits heute an morgen denken.“ Die Herausforderungen: Nachhaltigkeit, sinnvoller Ressourceneinsatz, Energiesparen und Umweltschutz, aber natürlich auch leistbares und komfortables Wohnen.

Ganz im Sinne der Kreislaufwirtschaft ist das Austrotherm Recycling Service: Der heimische Dämmstoff-Hersteller bietet die kostenlose Rücknahme von sauberen XPS-Baustellenverschnitten an. Diese werden wieder der Produktion zugeführt. Das Rücknahmesystem funktioniert denkbar einfach: Dämmstoff-Verschnitte können entweder in beliebigen transparenten Säcken oder in einem zu 100 Prozent recycelbaren Austrotherm-Sack während der Öffnungszeiten ins Werk Purbach gebracht werden. Bis zu 50 dieser Säcke, die jeweils in etwa einen halben Kubikmeter losen XPS-Verschnitt fassen, sind pro Bestellung kostenlos erhältlich. Sie können entweder online oder bei einer Dämmstoff-Bestellung angefordert werden. Im Ergebnis werden dadurch Entsorgungskosten und wertvolle Ressourcen eingespart, mit dem Energieverbrauch reduzieren sich auch die CO2 -Emissionen.

Lager- und Bestandsmanagement 4.0

Im Zentrum aller Anstrengungen zur Optimierung der Logistik steht der Mitarbeiter. Eine zeitgemäße Weiterbildung für Führungs- und Fachkräfte aus den Bereichen Einkauf, Verkauf, Lager und Disposition sowie für Niederlassungsleiter bietet das Baustoff-Ausbildungszentrum (ba), das von ba-Mitgliedern aus Handel und Industrie getragen wird.

Um Prozesse und Organisation geht es im Kurs „Lager- und Bestandsmanagement 4.0“, der zurzeit als Webinar durchgeführt wird. Wie können Schnell-, Langsam- oder gar Nulldreher identifiziert werden?

Wie lassen sich Bestände mittels A-B-CAnalyse richtig clustern? Welche Maßnahmen sind zu ergreifen, um Inventurdifferenzen in den Griff zu bekommen? Und was leistet der elektronische Datenaustausch EDI, um Bestellabwicklung und logistische Prozesse zu verbessern?

Das sind nur einige der Fragen, die der diplomierte Controller und Betriebswirt Günther Sprunck im Webinar beantwortet. „Die Anforderungen an ein erfolgreiches Lager- und Bestandsmanagement steigen stetig“, meint er. „Hohe Lieferbereitschaft und Lieferzuverlässigkeit, geringe Kapitalbindung sowie effiziente Einkaufs- und Logistikprozesse sind daher von einem professionellen Lager- und Bestandsmanagement in Einklang zu bringen.“

Herausforderungen für die Logistik

# Die Komplexität der Transportgüter: Größen, Formate und Greifpunkte von Baustoffen und deren Transporthilfen werden immer vielfältiger und erfordern somit höhere Investitionen in Fahrzeuge und Ladehilfen.

# Der Zuwachs beim Verkehr: Zwischen 80 (Salzburg) und 100 Stunden im Jahr (Wien) stehen Österreichs Autofahrer im Stau. Auch die Fahrer im Baustoffhandel verlieren dadurch wertvolle Zeit bei der Belieferung.

# Der Zug zu mehr Nachhaltigkeit: Ohne Lieferverkehr keine Logistik. Zugleich besteht aber die Notwendigkeit, Lärm, Schadstoffemissionen und Ressourcenverbrauch einzudämmen.

# Der Anstieg bei den Kosten: Die Ansprüche steigen. Lieferungen sollten möglichst nah an den Arbeitsplatz erfolgen. Services wie das LiveTracking von Sendungen verursachen aber auch Kosten