projekttafel
© Roman Sakhno - Fotolia.com

Mit Lean wird es für alle leichter

Knappe Ressourcen, unterbrochene Lieferketten und auch die fortschreitende Digitalisierung führen zu Veränderungen im Ablauf der Planungs- und Bauprozesse. Die Projektsteuerung reagiert mit agilen Methoden, berichtet Nadja Pröwer, Mitglied der Geschäftsführung bei Drees & Sommer. Als Expertin für Projektsteuerung wünscht sie sich, dass bald nur mehr mit Lean-Management geplant und gebaut wird.

a3BAU: Wir haben mehr als ein Jahr Pandemie hinter uns. Die Bau- und Immobilienwirtschaft ist zwar glimpflich davongekommen. Dennoch wird Corona nicht spurlos an der Branche vorbeigehen – welche Veränderungen haben Sie festgestellt, was wird davon bleiben?

Nadja Pröwer: Eine starke Veränderung, die wir wahrgenommen haben, ist die Art und Weise, wie wir zusammenarbeiten. Durch die Gebundenheit an das Home-Office mussten wir ganz neue Modelle entwickeln, die absolut gut funktionieren, aber man muss aufpassen, dass die Entwicklungen nicht zur Ausschließlichkeit führen, unter dem Motto: Das Digitale ist die Zukunft. Punkt. Weil das ist es nicht. Die meisten Menschen können besser arbeiten, wenn sie zumindest ab und zu mit anderen Menschen sind.

Nadja Pröwer
Nadja Pröwer, Mitglied der Geschäftsleitung Drees & Sommer

Worin sehen Sie derzeit die größte Herausforderung in der Projektabwicklung?

Das ist ganz klar das Thema Lieferketten – Materialengpässe. Als Projektsteuerer stellen wir uns die Fragen: Wo entsteht das Projekt? Wer ist der Auftraggeber? Wer sind die Planer? Welche Firmen brauchen wir? Welche Materialien? So muss man das Projekt von Beginn an durchdenken. Man muss jeweils Prognosen treffen und einschätzen, mit welcher Wahrscheinlichkeit diese Prognose eintrifft. Unsere Rolle ist ganz stark auf Prozesse und Methodiken ausgelegt.

Was ist der größte Fehler in der Projektabwicklung?

Das klingt jetzt ein wenig banal, aber ganz oft liegt der Grund bei nicht funktionierenden Projekten darin, dass bei Projektbeginn nicht klar ist, was es am Ende wirklich sein soll. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass die Nutzer, also die Anforderer, am Anfang noch nicht ganz genau wissen, was sie wollen. Ein Planer kann aber am besten arbeiten, wenn er weiß, was das Ziel ist.

Sie holen sich vom Auftraggeber die Informationen, die die Planung braucht?

Wir fragen zunächst ab, was möchtest du ganz genau? Dann kommt die Frage nach dem Budget. Oft meint der Bauherr: Macht mal, plant mal. Dann kommen erstmals die Kosten mit der Einreichplanung auf den Tisch und dann heißt es: viel zu teuer. Dann muss umgeplant werden. Das ist ein falscher Prozess. Wenn es eine Projektsteuerung gibt, dann ist die Frage nach dem Budget eine der ersten Fragen und ob eine Position für Risiken vorgesehen ist. Auch das ist ein sehr spannendes Thema und wird immer interessanter, gemäß dem Motto „The world is vuca“ (vuca steht für volatility, uncertainty, complexity und ambiguity; der Begriff fasst die Herausforderungen zusammen, denen sich Unternehmen in einer zunehmend digitalisierten Welt stellen müssen, Anm. der Red.) Die Welt verändert sich. Wir können nicht mehr vorher alles wissen, was später passieren wird. Deshalb muss man auf das Thema Risiken besonderes Augenmerk legen.

Wie spüren Sie die Risiken auf?

Wir verfügen über einen Risikokatalog, der mit der Anzahl der Projekte ständig wächst. Wir müssen es zu Beginn schaffen, dass das Team – dazu gehören die Nutzer, Auftraggeber, Planer, eventuell auch externe Berater und zu einem späteren Zeitpunkt natürlich auch die ausführenden Firmen – zusammen das Projekt durchgeht und jeder aus seiner Sphäre und seinem Blickwinkel heraus Risiken einschätzt. Gemeinsam wird festgelegt, was man dagegen tut. Wir sind relativ häufig Moderatoren mit einem technischen Verständnis, übersetzen quasi zwischen Auftraggeber und den beteiligten Planungs- und Baufirmen. In der Kommunikation kann ganz schön viel schiefgehen.

Was sind zusammengefasst die Erfolgsfaktoren für ein gelungenes Projekt?

Wesentlich ist, dass ein Projekt gut geplant ist. Der Fokus liegt definitiv in der Anfangsphase: Solldefinition, Kosten, Risiken und Termine – das bedeutet, sich gleich zu Beginn die Abhängigkeiten im Ablauf anzuschauen und eine professionelle Terminplanung zu erstellen mit Zeitpuffern – Qualitäten definieren und die Prozesse aufsetzen. Zum Beispiel: Wie sieht der Planfreigabe-Prozess aus? Wer hat wann was zu tun? Mit dem Gedanken dahinter: Wenn der Generalplaner mit an Bord ist, muss er sich nicht noch mal damit beschäftigen, wie er eine Freigabe für seinen Plan bekommt. Dieser Prozess muss für den Generalplaner klar sein und für den Auftraggeber funktionieren. Bei Projekten, wo es keine Projektsteuerung gibt, wird oft vom Generalplaner erwartet, dass er diese Aufgaben mitmacht, ist aber gar nicht seine Aufgabe.

Mitunter ist der Auftraggeber nicht der Nutzer – wie geht man hier vor?

Darin stecken zwei Aspekte. Der, der etwas möchte, ist nicht immer der, der zahlt. Und manchmal sind die Nutzer im Vorhinein noch gar nicht bekannt oder kommen erst in der Ausführungsphase hinzu. Da helfen uns die agilen Planungsmethoden. Wir machen einen gesellschaftlichen und weltwirtschaftlichen Wandel durch und können viele Dinge nicht mehr voraussehen. Durch die Digitalisierung passiert alles so schnell, beim Bauen sind wir aber recht langsam, noch sehr traditionell. Das Bauen braucht auch eine bestimmte Zeit. Wir werden manchmal auf dem Weg zum Ziel von den Anforderungen überholt. Man muss sich damit auseinandersetzen, dass sich die Nutzung eventuell ändert, bis das Gebäude fertiggestellt ist.

Das klingt schon sehr nach Lean ­Con­struction. Sind die Vorteile dieser Projektabwicklung schon bei den Bauherren angekommen?

Ich persönlich würde mir wünschen, dass wir jedes Projekt lean machen. Können wir aber nicht, wenn der Auftraggeber sagt: Interessiert mich nicht. Wir sind davon abhängig, dass wir den Auftraggeber überzeugen und versuchen, ihm die Mehrwerte klarzumachen und er sich schlussendlich dafür entscheidet. Meine Erfahrung ist, dass das nie ein Selbstläufer ist. Wir müssen die Auftraggeber bzw. Nutzer zu Beginn dahingehend sensibilisieren, dass er sich zwei Jahre vorher entscheiden muss, was er genau will. Das ist eminent wichtig, um die Prozesse möglichst störungsfrei durchlaufen lassen zu können.

Warum scheuen Auftraggeber Lean?

Ganz häufig ist es erst mal eine Unkenntnis, die meist dazu führt, dass der Auftrag­geber sagt: Brauchen wir nicht. Wir haben es immer so gemacht, warum sollten wir uns auf etwas Neues einlassen? Wenn man ein professionelles Lean Construction aufsetzen möchte, ist man daher gut beraten, dass man sich ausgewiesene Lean-Construction-Experten mit an Bord nimmt, die in der Lage sind, die Methodik in die Projekte reinzubringen und die Projektbeteiligten ausbilden. Deshalb können sich auch Firmen beteiligen, die vorher noch nie mit Lean zu tun hatten.

Trifft das auch auf die Subfirmen zu, die oft erst im Laufe des Projekts hinzukommen?

Lean ist kein Hexenwerk. Jede Firma ist in der Lage, Lean zu machen, wenn sie entsprechend eingeschult wird. Lean sind für mich zwei Sachen – ein Mindset auf der einen Seite und auf der anderen Seite ein wirkliches Werkzeug, eine Methodik, die dahinter steckt. Das Mindset muss vom Auftraggeber mitgetragen werden und zeichnet sich durch Partnerschaftlichkeit und Transparenz aus. Bei Lean geht es immer darum, Verschwendung im weitesten Sinn des Wortes zu vermeiden.

Wo findet auf den Baustellen Verschwendung statt – es geht, nehme ich an, nicht nur ums Material?

Vollkommen richtig. Es ist vor allem Zeit, die wir verschwenden. Denken Sie an die vielen sinnlosen Mails, die sicherheitshalber an alle verschickt werden. Entweder sind die Leute zu faul, sich zu überlegen, wer ist jetzt wirklich wichtig. Andere wollen sich absichern. Im Lean-Team passiert so etwas nicht, weil wir uns alle dazu committet haben, unsere Zeit nicht zu verschwenden. Ich erwarte mir von jedem Teammitglied – den Bauherrn eingeschlossen – dass wir uns genau überlegen, mit wem habe ich wann zu kommunizieren und in welcher Art und Weise. In einem unserer Projekte haben wir uns darauf geeinigt, persönlich miteinander zu kommunizieren. Der Generalplaner legt eine Lösung auf den Tisch, die die Projektsteuerung im Vorfeld schon bewertet hat. Der Projektleiter kann in Absprache mit dem Auftraggeber sofort entscheiden. Gemeinsam an einem Tisch ist das Problem möglicherweise in einer Viertelstunde gelöst. Es ist dagegen unendlich mühsam, Rückfragen über Mailverkehr abzuklären. Das muss man sich bewusst machen, um das Thema Verschwendung greifen zu können. Dieser Lean-Gedanke durchzieht das komplette Projekt.

Kurze Kommunikationswege – das allein zeichnet aber ein Lean-Projekt noch nicht aus …

Nein, das wäre noch nicht Lean. Die Metho­dik sagt auch, dass Prozesse von hinten her gedacht werden sollen. Üblicherweise, wenn wir Tätigkeiten ausüben, wissen wir, welche Schritte nacheinander kommen. Das kann aber dazu führen, dass wir viele Dinge machen, die wir eigentlich für das Ziel ganz hinten gar nicht brauchen. Deshalb sagt die Lean-Philosophie: Was braucht der Kunde tatsächlich, um seinen Wert zu bekommen? Auf die Errichtung von Gebäuden bezogen, ist der letzte Schritt meist, dass das Gebäude gereinigt wird. Was kommt davor? Vermutlich nochmals Malerarbeiten. Wichtig ist aber, diese Schritte gemeinsam mit allen Beteiligten zu denken. Wir schaffen eine partnerschaftliche Gesprächsatmosphäre, wo jedes Teammitglied für seine spezielle Fachdisziplin der Experte ist, der gefragt und gehört wird. Ein Malermeister wird mir besser sagen können, in welcher Reihenfolge er arbeiten sollte, um möglicherweise schneller zu sein, als es standardmäßig vorgesehen ist.

Wie hole ich aber Informationen ein von jemandem – in diesem Fall jetzt der Malermeister – der zu Projektbeginn noch gar nicht feststeht, weil erst später die Ausschreibungen folgen …?

Die Detailtiefe, von der wir jetzt gesprochen haben, wird erst bestimmt, wenn die ausführenden Firmen da sind. Ich muss nicht bei Planungsbeginn den Gewerkezug bis ins letzte Detail durchdacht haben. Wir überlegen uns den Ablauf in einem größeren Maßstab. Zu Beginn haben wir ja nicht einmal den Generalplaner, den müssen wir erst ausschreiben. Trotzdem können wir mit diesen Rahmenbedingungen, die wir uns vom Auftraggeber bzw. Nutzer abholen – Kosten, Termine, Qualitäten – das Projekt aufgrund unserer Erfahrung grob aufsetzen. Die nächsten Detaillierungsstufen werden immer mit den neuen Projektbeteiligten zusammen durchgegangen. Die Meilensteine aus dem Rahmenterminplan, das ist der Terminplan für die Projektsteuerung, die bleiben weiterhin bestehen, sonst ufert es aus.

Was bedeutet Target-Value-Design in diesem Zusammenhang?

Die Wertschöpfung bzw. Mehrwerte, die der Kunde braucht, sind das Ziel, das man nicht aus den Augen verlieren darf. Der Auftraggeber sagt: Das ist meine Bruttogeschossfläche, das sind meine Qualitäten usw. und da möchte ich verkaufen oder vermieten. Das sind die Ziele des Kunden. Nehmen wir jetzt als Beispiel im Rahmen der Baustelleneinrichtung das Materiallager heraus: Wenn gebaut wird, wird rundherum Platz für Lagerflächen geschaffen. Dem Auftraggeber ist das aber komplett egal, ob und wie das gemacht wird. Das ist nicht sein Wert. Wir überlegen uns daher: Brauchen wir überhaupt große Lagerflächen? Gibt es nicht vielleicht eine bessere Lösung? Wir haben es immer so gemacht, aber möglicherweise haben wir es lange Zeit nicht richtig gemacht.

Was machen Sie, wenn sich Gewerke nicht an die vorgegebenen Zeiten halten? Gibt es da Konsequenzen?

Selbstverständlich. Aber unsere Erfahrung zeigt: Alle Firmen, die einmal Lean-­Projekte gemacht haben, kennen den Mehrwert und ein zweites Mal muss man sie nicht mehr überzeugen. Wir kennen die Angst der Firmen zu Beginn, dass Lean ein Mehraufwand ist, weil man täglich die Lean-Besprechungen hat. Darauf sagen wir: Natürlich hast du täglich die Lean-Besprechung, aber dafür sparst du dir einen Mitarbeiter, der irgendwelche Mails abarbeitet. Oder auch das Thema Nachträge: Claim Management hat ja in den letzten Jahren Dimensionen angenommen, da viele Firmen mit einem niedrigen Preis in die Verhandlungen gegangen sind und dann geclaimt haben. Das sollte es in Lean nicht geben, weil es Zeitverschwendung ist. Die Zeit, die man ins Claimen steckt, sollte man lieber ins Projekt stecken. Der Lean-Ansatz ist partnerschaftlich. Klingt ein bisschen naiv, aber es stimmt: Jeder soll für das, was er macht, seinen Gegenwert bekommen. Es muss bei einem Lean-Projekt der Gedanke verankert sein: Wir wollen niemanden ausnehmen. Wir wollen niemanden übervorteilen. Derzeit ist das noch schwierig, weil noch nicht alle so denken.

Wie sehen Sie aus Sicht der Projekt­steuerung die Aufhebung der klassischen Trennung von Planen und Bauen, wie immer öfter praktiziert?

Auch hier gibt es zwei Aspekte. Die Ausführungsplanung auf ausführende Seite zu geben wird immer häufiger angewendet, und ich sehe darin auch einen sehr, sehr großen Vorteil: Wenn man die Ausführung schon sehr detailliert planen kann, ist der Wissenstransfer, wie es tatsächlich ausgeführt wird, zur Planung großartig. Auf der anderen Seite gibt es zwischen Auftraggeber und Ausführenden durchaus unterschiedliche Interessen, auch wenn man partnerschaftlich miteinander umgeht. Der Planer ist im Idealbild der Treuhänder des Auftraggebers. Ich habe es durchaus schon erlebt, dass in der Planung zwar eine gewisse Qualität verankert wurde. Aber die Ausführung verdient natürlich mehr, wenn die vereinbarte Qualität in ihrem Sinne ausgelegt wird. Das ist nun mal das Geschäftsmodell in der Bauwirtschaft. Dagegen ist auch nichts zu sagen, solange es fair bleibt. Das ist genau der springende Punkt: Wie schafft man das? Es gibt ja in der Zwischenzeit mehrere Partnering-Modelle. Man versucht die Ausführenden ganz an den Anfang des Projekts zu holen, zum Beispiel schon zum Zeitpunkt des Vorentwurfs. Das kann durchaus funktionieren, wenn man die Kompetenz von hinten nach vorne bringt. Aber nicht jedes Projekt, das so abgelaufen ist, hat funktioniert. Ich kenne Bauherren, die sagen: nie wieder.

Was ist schief gelaufen?

Weil in der Regel die Qualität nicht gepasst hat, nach dem Prinzip: Möglichst wenig Aufwand reinstecken, um möglichst viel rauszuholen aus dem Projekt. Es gibt private Bauherren, die glauben an das System des Partnerings, aber auch nur, wenn es wirklich ihre Partner sind. Das heißt, diese Auftraggeber arbeiten in diesem Modell mit Firmen, mit denen sie schon lange zusammenarbeiten. Da braucht es Vertrauen. Man muss sicherstellen, dass es auch wirklich ein Partner ist – das gilt übrigens in beide Richtungen.

Wie weit ist Lean in der Bauwirtschaft schon vorgedrungen?

Es tut sich sehr viel in dieser Richtung. Es wird mittlerweile der Universitätslehrgang Lean Baumanagement an der TU Graz unterrichtet. Es gibt auch immer mehr Firmen, die Lean anbieten. Warum gefällt mir das? Wenn Lean für den Markt eine Selbstverständlichkeit sein wird, dann wird es für uns alle leichter. Daher: Jedes Projekt mit Lean, bitte.

DI Nadja Pröwer

ist seit 2008 bei Drees & Sommer Österreich als Projektmanagerin tätig und als Mitglied der Geschäftsleitung für den Geschäftsbereich Projektmanagement verantwortlich. Sie ist spezialisiert auf die Planung und Leitung komplexer Bauprojekte. Pröwer studierte an der Technischen Universität Dresden und der ETSAV Barcelona Architektur und war vor ihrer Zeit bei Drees & Sommer sechs Jahre lang als Architektin in Wien und Budapest tätig.