Normen Grafik Austrian Standards
Teilnehmer in den Normungsgremien
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Wer macht die Normen?

Obwohl die Anwendung der Bau-Normen grundsätzlich auf Freiwilligkeit basiert, erlangen sie in Rechtsstreitigkeiten oft einen verbindlichen Charakter. Es lohnt sich daher, einen Blick darauf zu werfen, wer die Normen eigentlich gestaltet.

„Die Normen fallen ja nicht vom Himmel“, leitete Angelika Fitz, Direktorin des Architekturzentrum Wien einen kontroversiellen Diskussionsabend zum Thema „Wer macht die Normen?“ ein. Der Bogen spannte sich dabei von der Frage der demokratiepolitischen Legitimation der Normung, über die Transparenz des Normungsprozesses bis hin zur Frage, wie die Normung in zehn Jahren ausschauen wird.

„Wir wollen lieber planen und entwerfen und uns nicht in 1000e Seiten von Regulativen vertiefen“, formulierte Präsident der Bundeskammer der Architekten und Ingenieurkonsulenten, was Planern seit langem unter den Fingernägeln brennt: Die in ihren Augen Überregulierung binde zu viele Ressourcen: Planer reiben sich in formalen Planungsprozessen auf, anstatt ihr vorrangiges Ziel zu verfolgen, nämlich gute Bauwerke zu entwerfen.

Jurist Konrad Lachmayer stellte die Frage, warum Ausschüsse eigentlich über gesellschaftliche Entwicklungen entscheiden und bezog sich dabei auf eine Studie zur „demokratiepolitischen Legitimation der Normung“. Von der Idee her seien Normen eine freiwillige Übereinkunft für gewisse Standards. Heute erlangten sie durch Verträge oft rechtliche Relevanz. 

Lachmayer kritisierte auch die mangelnde Transparenz in Bezug auf die mitwirkenden Personen in den Normungsgremien und deutete mit seiner Frage „Wer zahlt die Show eigentlich?“ einen wesentlichen Kritikpunkt an. „Die Grundidee, dass jeder am Normungsprozess teilhaben könne, sei zwar schön, aber wir Planer haben die zeitlichen Ressourcen dafür nicht“, meinte Aulinger in Richtung Elisabeth Stampfl-Blaha, Direktorin von Austrian Standards, die betonte, dass das österreichische Normungsinstituts lediglich den Raum für Besprechungen biete, selbst aber keine Normen mache. 

„Jeder kann mitarbeiten und bei Eignung auch im zuständigen Normungskomitee mirarbeiten“, stellte Stampfl-Blaha den Normungsprozess als transparentes Instrument dar, das ohnehin nur dann zum Einsatz komme, wenn allgemein Übereinkunft über die Notwendigkeit eines neuen Standards herrsche, sprich eine Norm nötig sei. 

„Es mag zwar sein, dass jeder seine Idee ans Normungsinstitut herantragen könne“, konterte Aulinger, „aber sind es nicht in erster Linie Ideen der Industrie? Geht es vielleicht gar nicht darum, die Welt zu verbessern, sondern eher einem Produkt zum Vorteil zu verhelfen?“, stellte Aulinger das Allgemeinwohl, das angeblich der Auslöser von Normen sei, in Frage und verglich den Normungsprozess mit einem Fußballspiel, bei dem höchst unterschiedlich starke Mannschaften beteiligt seien. Während auf der einen Seite die Vertreter der Industrie für ihre Teilnahme in den Normungsgremien bezahlt würden, gebe es nicht annähernd gleich viele „Spieler“ auf Seite der Planer, die ehrenamtlich mitwirken würden. Und so gingen die Matches eben so aus, wie sich das die spielerstärkste Mannschaft wünsche, so Aulinger.

Auch Lachmayer merkte an, dass es sich meist nicht um rein mit Sachverständigen besetzte, sondern oft um interessensgesteuerte Gremien handle. Stampfl-Blaha erläuterte die Zusammensetzung der rund 4.000 am Normungsprozess beteiligten Experten: Knapp die Hälfte kommen aus kleinen Unternehmen (KMU, EPU), rund 30 Prozent stellen große Unternehmen, Bund, Länder und Gemeinden entsenden knapp 7 Prozent (siehe Grafik).

Schließlich wurde die Diskussion in Richtung Finanzierung gelenkt, wobei die Direktorin des Normungsinstituts mit einer unkonventionellen Idee aufwartete: „Eventuell wäre Crowdfunding eine Möglichkeit zur Finanzierung von neuen Standards.“ Das wäre quasi gleich ein Elchtest für die Norm. Neue Finanzierungswege sind notwendig, denn im Zuge des Normengesetzes 2016 wurde festgelegt, dass österreichische Normen, die durch Gesetz oder Verordnung zur Gänze oder teilweise verbindlich erklärt wurden, im Umfang ihrer Verbindlicherklärung unentgeltlich zu veröffentlichen sind. Damit wurde ein praktisch kostenfreier Zugang zu den verbindlich erklärten Norminhalten gewährleistet. Für das Normungsinstitut fiel eine wesentliche Einnahmequelle weg.

„Von innen, ohne politischen Druck, wird sich das Normenwesen nicht verändern“, leitete der Kammer-Präsident das Ende der Diskussion ein. Er habe keine Alternative zur Hand, aber es werde eine Veränderung geben müssen. Denn es sei ein Irrglaube, dass Normung technische Innovation auslöse. Normen seien Innovationshemmer, nicht -treiber, so Aulinger: „In 50 Jahren werden unsere Nachfahren nicht mehr über Normen diskutieren so wie wir heute.“ 

Darin stimmte ihm die Direktorin des Normungsinstituts zwar zu, zeichnete aber ein Bild von Normung in naher Zukunft, das auch nicht unbedingt erstrebenswert ist. In der IT-Branche setzen sich Big Player an einem Tisch zusammen und bestimmen die Realität. Stampfl-Blaha: „Wenn wir nicht europäische Normen hätten, wäre die Gestaltung unserer Standards zwar schneller, aber mit Sicherheit nicht demokratischer.“