Merkmalserver reloaded
Um dreidimensionale Gebäudemodelle mit Informationen auszustatten und diese auch austauschen zu können, ist eine „gemeinsame Sprache“ notwendig. Dafür wurde der ASI-Merkmalserver entwickelt. Da der Server eine zentrale Infrastruktur für BIM in Österreich darstellt, wuchsen die Begehrlichkeiten dazu in der Branche. Die Meinungen darüber, welche Lösung für einen solchen Merkmalserver die beste sein könnte, gingen in der Branche auseinander. Ebenso die Frage, wer „die Hand“ auf einem solchen Server haben sollte, sorgte für Uneinigkeit. Ansätze für den Server gab es bereits mehrere. Neben dem „ASI Merkmalserver“ gab es weitere Initiativen durch Verbände, die versuchten, einen eigenen Server zu lancieren. Auch Finanzierungsrunden für eine größere Variante eines Property-Servers bei der Industrie wurden gestartet. Das seit langem erfolgreiche Projekt „freeBIM“, unterstützt vom Land Tirol und der Österreichischen Forschungsförderungsgesellschaft FFG, entwickelte ursprünglich die notwendige Software-Infrastruktur des Merkmalservers. Neben den technischen Weiterentwicklungen soll der Fokus nun aber vor allem auf die Inhalte – die Bim-Bibliothek - gerichtet werden, denn das Bedürfnis nach einer Lösung für die Branche ist groß.
a3BAU: Um BIM in die Breite zu bringen, braucht es einheitliche Merkmale, die Properties. Darüber herrscht Einigkeit. Dafür wurde bereits 2015 der ASI-Merkmalserver installiert. In der Praxis kommt er bislang dennoch kaum zum Einsatz. Warum ist das so?
Gerhard Zucker: Tatsächlich wurde der Merkmalserver gemeinsam mit der Uni Innsbruck bereits vor mehr als fünf Jahren entwickelt. Der physische Server, die Software für die Systematik sind vorhanden, und es wurden auch schon Properties erstellt. Aber es hat sich gezeigt, dass der Zeitaufwand, um diese Properties zu erstellen, in keinem Vergleich zu einer gängigen Normenarbeit, wie wir sie sonst kennen, steht. Wir reden von einer halben Stunde bis zu einem Tag pro Property und das Ganze in der Größenordnung mal 30.000, mal 50.000.
Wer hat diese Arbeit bislang gemacht?
Zucker: Bis jetzt waren das Leute aus der Normung, die diese Properties in Eigenleistung, ehrenamtlich erstellt haben. Das hat auch funktioniert, aber natürlich nicht in der Geschwindigkeit und der Vollständigkeit, die wir brauchen.
Stefan Wagmeister: Aufgrund der rasanten Entwicklung werden die Notwendigkeiten auch nicht mehr abgedeckt, die heutige Zeiten mit sich bringen. Stichwort Gebäudeautomation, wo wir von vielen TGA Elementen reden, die es vielleicht vor fünf, sechs, sieben Jahren angedacht gab, aber die mittlerweile schon Stand der Technik sind. Wir reden von unterschiedlichsten Disziplinen über den Hochbau hinaus, die alle noch bearbeitet werden müssen. Beispielsweise die Elektrotechnik als Teilbereich der TGA und so weiter. Diese Komplexität und dieser Aufwand, der dahintersteckt, sind im Rahmen der normalen Gremienarbeit nicht abbildbar.
Was wird sich jetzt durch die Zusammenarbeit mit AIT und Digital Findet Stadt ändern?
Wagmeister: Die Qualität und Richtigkeit der Daten ist immer noch in der Hoheit des zuständigen Normungsgremiums. Soll heißen: Was an Daten erarbeitet und zur Verfügung gestellt wird, durchläuft einen gesicherten Qualitätsmanagementprozess im Rahmen der Normung. Die Daten werden freigegeben , in die Bibliothek des Merkmalservers hinein gespielt und sind dann für alle frei verfügbar. Das ist die Rolle von Austrian Standards.
Steffen Robbi: Die inhaltliche Erarbeitung, also Hauptteil der Arbeit, liegt beim AIT. Die Stakeholder-Koordination erfolgt über uns, Digital Findet Stadt. Wir bringen die unterschiedlichen Player in der Baubranche an der Schnittstelle zwischen Forschung und Innovation zusammen. Derzeit gibt es mindestens fünf Forschungsprojekte, die sich inhaltlich mit der Weiterentwicklung von Properties beschäftigen. Mit der aktuellen Challenge suchen wir Partnerunternehmen, die sich finanziell, personell und mit ihrer Expertise einbringen. In der ersten Finanzierungsrunde konnten wir 100.000 Euro aufstellen. Mittlerweile haben schon weitere Unternehmen angefragt. Wir arbeiten hier in Schritten, wo wir immer wieder neue Projekte aufsetzen.
Sie haben die Finanzierung angesprochen. Wenn sich nun ein Baustoffkonzern finanziell einbringt, sehen Sie nicht das Problem der Einflussnahme, wenn der Server durch private Konzerne finanziert wird?
Robbi: Man muss ganz stark trennen zwischen der Finanzierung, um die notwendige inhaltliche Arbeit zu tun und dem, was im Endergebnis in der Norm und am Merkmalserver steht. Man kann sich keine Properties erkaufen. Dafür gibt es einen unabhängigen Qualitätssicherungsprozess. Es soll nicht der Eindruck erweckt werden, dass die Finanzierung dazu dient, bestimmte Wünsche oder Bedürfnisse einzelner in eine Norm zu überführen. Im Gegenteil: Wir wünschen uns, dass die Umsetzung möglichst breit aufgestellt wird, und sich Auftraggeber, Planer, Baufirmen und Betreiber, und vor allem auch kleine und mittlere Unternehmen an diesem Prozess beteiligen. In der aktuellen Challenge sind die Bundesinnung Bau und Smart Construction Austria, ein Zusammenschluss mittelständischer Bauunternehmen, und die Architektenkammer beteiligt. Man kann sich keine Norm erkaufen, aber man kann die Themen, an denen gearbeitet wird, definieren.
Wie muss man sich die Erarbeitung der Properties vorstellen?
Zucker: Wir gehen in Anwendungsfällen vor, wo wir uns alle Themen anschauen, sodass dieser Anwendungsfall vollständig für die Baubranche nutzbar ist. Man muss sich das wie die Systematik einer Bücherei vorstellen. In einer Bücherei haben Sie verschiedene Kategorien – Abenteuerroman, Science Fiction, etc. Innerhalb der Kategorien wird dann nach dem Nachnamen des Autors kategorisiert. Das ist die Systematik, die wir brauchen, damit alle, die an einem BIM-Modell arbeiten, die abgelegten Informationen wiederfinden. Diese Systematik ist derzeit noch nicht vollständig. Unsere schwierige Aufgabe ist es, die Properties so zu definieren, dass sie dann ein stimmiges Ganzes ergeben.
Wie läuft dieser Prozess praktisch ab?
Zucker: Nehmen wir als Beispiel die TGA-Komponenten. Wir haben in einem Vorprojekt unter der Leitung von der TU Graz 50 Komponenten aus der TGA erarbeitet. Die existierenden Normen zu einer Komponente wurden auf den Tisch legt, vor allem die österreichischen Normen, aber auch VDI Blätter. In verschiedenen Workshops wurden mit Stakeholdern, die damit arbeiten, offen diskutiert, was in welcher Form erforderlich ist. Das Ergebnis aus diesen Arbeiten ist eine harmonisierte Liste von Properties: allgemeinen Eigenschaften für TGA-Komponenten und spezielle Eigenschaften für einzelne Komponenten. Mit dieser „Tischvorlage“ beginnt dann die Gremienarbeit in der A.S.I.-Ebene, um so auf eine neutralisierte, also herstellerunabhängige, Darstellung der TGA zu gelangen.
Wenn ich mir diese Prozesse für sagen wir 30.000 Komponenten, die man abbilden will, vorstelle, sind wir ungefähr 2054 fertig. Wie kann man den Prozess beschleunigen?
Zucker: Sie sprechen ein gutes Thema an. Wir beschäftigen uns derzeit damit, wie in einer Kleingruppe ein Thema effizient erarbeitet und dann in die Normierung zurückgespielt werden kann. Mit ein bisschen Erfahrung kann man das ganz gut parallelisieren, weil sich dann eine Gruppe um die Fenster, eine andere um die TGA, wiederum eine andere um die digitale Einreichung kümmert. In der Gremienarbeit gibt es dann den Qualitätssicherungsprozess.
Wagmeister: Mittlerweile haben weitere Firmen Interesse zur Weiterführung bekundet. Wenn die Branche einmal erkannt hat, dass es eine Möglichkeit gibt, wie wir den Standard weiterentwickeln können, dann wird es einen Schneeballeffekt auslösen und sehr viel in Bewegung kommen.
Wer sitzt mit am Tisch – sinnvollerweise nicht nur die Industrie, sondern auch die Planer, die damit arbeiten müssen…
Wagmeister: Am Ende des Tages macht es keinen Unterschied, welche Gruppe welche Merkmale einbringt, am Ende des Tages geht es nicht um gekaufte Produktdaten, sondern um generische Daten für eine ganze Branche. Aber um ihre Frage zu beantworten: Die Bundesinnung Bau als Vertretung der Baumeister, aber auch die Planer beteiligen sich seit jeher aktiv an der Gremienarbeit.
Robbi: Wir versuchen, auch die kleinen und mittleren Unternehmen an Bord zu holen. Fünf Unternehmen können gemeinsam sagen, das Thema ist uns wichtig, bitte bearbeiten wir das inhaltlich. Genau deshalb haben wir diese Challenge auf unserer Plattform ausgerufen, weil wir hoffen, dass sich viele beteiligen.
Jetzt sprechen wir davon, dass es ein langer Prozess sein wird. Normen verändern sich aber ständig. Wie funktioniert die laufende Anpassung?
Wagmeister: 2020 wurde der „ASI Merkmalserver“ auf Basis der Weiterentwicklung durch die Uni Innsbruck auf eine Open source-Lösung umgestellt. Weitere Entwicklungen betrafen die mögliche Mehrsprachigkeit, aber auch die Versionierungsmöglichkeit. Der aktuelle Stand wird abrufbar sein, aber mit einer eigenen Versionierungsnummer auch der Stand von z. B. vor einem Jahr.
Zucker: Mit der Geschwindigkeit, in der sich derzeit Entwicklungen abspielen, werden wir wahrscheinlich jährliche Updates brauchen oder vielleicht noch schneller getaktet sein. Das ist dann letztlich eine Frage, auf welchen Stand man sich zu Projektbeginn einigt, der über die ganze Projektlaufzeit gilt. Im Hintergrund wird aber weiterentwickelt. Und irgendwann gibt es wieder ein Update, ab dann können neue Projekte mit diesem neuen Stand arbeiten.
Wie sieht der Fahrplan für 2021 aus? In welchem Bereich werden da große Schritte vorwärts gemacht werden können?
Robbi: Die bestehenden Grundlagen im Bereich Hochbau werden aktualisiert. Mit der Beteiligung der Bundesinnung Bau und Smart Construction Austria haben wir die ausführenden Unternehmen an Bord, die in der Werks- und Montageplanung, in der Ausführungsplanung neue Schwerpunkte setzen werden. Auch die TGA wird aus den bereits zuvor skizzierten Forschungsarbeiten heraus ein großer Schwerpunkt sein. Uns ist es ein Anliegen, den Server um TGA-Properties zu erweitern, das heißt zunächst um die 50 wichtigsten Komponenten, die ich in der Planungsarbeit und für die Ausführung brauche.
Wagmeister: Der angesprochene Schneeballeffekt soll dazu führen, dass jetzt vieles in Projekten strukturiert abgearbeitet werden kann. Ich denke auch an weitere Projekte, die bei den ÖBB oder der Asfinag laufen, wo jetzt die BIM-Erfahrung aus Pilotprojekten im Straßen- oder Tunnelbau einfließt. Am Ende des Tages werden wir nie alles abdecken können, aber das, was am allermeisten gebraucht wird, soll da sein. Die eine oder andere Gebäudeautomation-Komponente ist erst mal nicht am Server. Aber das bedeutet nicht, dass sie nicht noch einfließen kann, wenn wir die notwendigen Daten bekommen. Das muss der Branche bewusst sein.
Das heißt, die Branche muss auch liefern ...
Wagmeister: Für einen größtmöglichen Nutzen müssen alle liefern. Es ist auch Eigeninitiative erforderlich. Am Ende des Tages ist es ganz egal, wer was einbringt. Es muss nur eine Komponente sein, die gebraucht wird, deren Daten zur Verfügung gestellt werden, die wir generisch über den Server weitergeben können.
Robbi: Es ist wirklich jeder eingeladen, sich an diesem Projekt – meiner Meinung nach einem der wichtigsten Digitalisierungsprojekte in Österreich – zu beteiligen und das Thema, das er noch vermisst, gemeinsam mit uns zu erarbeiten.
Kurz erklärt
ASI Merkmalserver
Es geht um die Erstellung und Harmonisierung von Merkmalen, um die ÖNORM A 6241-2 für die österreichische Bauwirtschaft voll umfänglich nutzbar zu machen, sozusagen darum, ein BIM-Vokabular - eine BIM-Bibliothek - zu schaffen. Damit das reibungslos funktionieren kann, sind einheitliche Schnittstellen und Definitionen notwendig. Ein wichtiger Teil davon sind die sogenannten „BIM Properties“ – also einheitliche Merkmale oder Attribute für alle Objekte, die im BIM benutzt werden. Diese zu sammeln und abzustimmen ist eine komplexe Aufgabe: zeichnet es doch ein vollständiges Bild der notwendigen Attribute für mehrere tausend Produkte und Produktkategorien in der Baubranche.
Expertise gefragt
Wer fachlichen Input zu den Properties beitragen oder konkret an der Normungsarbeit teilnehmen möchte, kann dies unter https://www.austrian-standards.at (Menüpunkt: Standardisierung) tun oder sich direkt an Stefan Wagmeister wenden: s.wagmeister@austrian-standards.at
AIT Challenge bei Digital Findet Stadt
Gesucht sind innovative Unternehmen und öffentliche Institutionen, die die Definition von BIM Properties für Ausschreibung, Planung, Bau und Betrieb in den Bereichen Hochbau und Infrastruktur finanziell und personell unterstützen. Im Gegenzug für Beteiligungen in Schritten von 10.000 Euro erhalten die Unternehmen ein Vorschlagsrecht für die inhaltlichen Entwicklungsschritte und können eigene Anforderungen aus der Praxis einbringen.
Kontakt: steffen.robbi@digitalfindetstadt.at
Informationen: www.digitalfindetstadt.at, www.ait.ac.at/merkmalserver