© Thomas Ledl

Modulares Bauen

Die Modulbauweise bekommt nicht zuletzt aufgrund der ambitionierten Ansprüche für den Klimaschutz einen neuen Schwung und erweist sich vor allem in puncto Bauzeit als höchst effiziente, nachhaltige und flexible Bauweise.

Die Idee ist nicht neu – aber aktueller denn je, denn die Baukosten steigen, die Energiepreise setzen die Bauwirtschaft unter Druck. Das modulare Bauen beschäftigt die Baubranche schon seit Jahrzehnten. Der Architekt Walter Gropius propagierte bereits in den 1920er Jahren die modulare Bauweise mit seinem „Baukasten im Großen“. Die folgende Bauhaus-Ära orientierte sich daran und verfolgte die Idee der Verwendung von wiederkehrenden Raumzellen als Grundlage für die Typisierung einzelner Bauteile und damit für eine industrielle Produktion. Das Wohnprojekt Habitat 67 in Montréal, errichtet als Teil der Weltausstellung im Jahr 1967, gab vielleicht den Auftakt für die ersten großen, seriell gebauten Gebäude in Europa. Der Wohnbau besteht aus 354 Quadern mit insgesamt 158 Wohneinheiten. Architekt Moshe Safdie entwarf die vorgefertigten Sichtbeton-Module, die wirken, als hätte er damit gewürfelt. Nach wie vor gilt die Siedlung Habitat 67 als eines der Vorzeigebeispiele in puncto modulares Bauen.

Ein in Österreich aktuelles Beispiel ist Kiubo in Graz. Soeben wurde das Projekt und die Idee mit dem Fiabci Prix d’Excellence Austria in der Kategorie „Wohnen“ ausgezeichnet. Mit Kiubo, eine Tochterfirma der ÖWG, einer der größten Wohnbaugenossenschaften Österreichs, gelang ein Betonfertigteil-Bausystem, das sich auch für den mehrgeschoßigen Wohnbau eignet. Wohnen neu denken ist der Grundsatz, der dem Konzept zugrunde liegt. Florian Stadtschreiber, Geschäftsführer von Kiubo, dazu: „Basis ist ein Bausystem, dass erstmals den Rohbau vom Ausbau trennt. Das System besteht aus einem Terminal, in dieses werden – ähnlich einem Setzkasten – Module, die industriell vorgefertigt werden und je 25 Quadratmeter groß sind, eingeschoben. Der Terminal im Demoprojekt in der Grazer Starhemberggasse besteht aus Ortbeton und ist daher fix, jedoch entwickeln wir unsere Idee laufend weiter. Zukünftig werden auch die Terminals flexibler, indem man großteils auf Beton-Fertigteile setzt, die es ermöglichen, dass der Terminal auch ab- und wiederaufbaubar wird.“ Im Gegensatz zum konventionellen Bau können alle Teile recycelt werden – Kiubo steht für kreislauffähiges Bauen. Durch die industrielle Vorfertigung der Module bietet Kiubo alle Vorteile des standardisierten Bauens: Kürzere Bauzeiten, bessere Qualität, bessere Arbeitsbedingungen für die Mitarbeiter, weniger Baustellenrisiken, kalkulierbare Kosten, leichte Reproduktion und spätere Nutzungsflexibilität.

Modular und flexibel

Die Wohnungsgrundrisse reichen von kompakten multifunktionalen Grundrissen bis hin zu familiengerechten Zuschnitten. Im ersten Obergeschoss befindet sich bei dem Wohnbau in der Starhemberggasse ein Gemeinschaftsraum mit einer vorgelagerten, begrünten Freiterrasse sowie ein gemeinschaftlich genutzter Hauswirtschaftsraum. Ein Großteil der Wohneinheiten verfügt über einen privaten, nach Süden ausgerichteten Außenbereich. Durchzogen und eingewoben in die Geschosse sind großzügige Freiflächen mit unterschiedlich begrünten Flächen und Strukturen. Den oberen Abschluss bildet das extensiv begrünte Flachdach. Jedes Modul ist eine autarke Wohneinheit, die mit einem Bad, einer Küche sowie einem Schlaf- und Aufenthaltsbereich ausgestattet ist. Es kann jederzeit um Zusatzmodule, die wieder jeweils 25 Quadratmeter groß sind, erweitert werden. Ebenso gibt es eigene Büromodule. Die Strom- und Sanitäranschlüsse der Module werden im Plug-&-Play-Prinzip mit dem Terminal verbunden und so kann alles bereits nach wenigen Stunden genutzt werden. Das System ist für alle Funktionen offen, so kann eine spätere Umnutzung einfach erfolgen, vom Wohnen, Büro, Kindergarten, Ordination bis zum Hotel.

Stichwort wiederverwenden

Wieder- und weiterverwenden ist das Stichwort der Zukunft. Bei Projekten in Modulbauweise kein kompliziertes Unterfangen wie auch Architekt Dirk Hebel vom Institut für Nachhaltiges Bauen an der Fakultät für Architektur, Karlsruher Institut für Technologie, betont. Baumaterialien müssen so hergestellt werden, dass sie dem Anspruch einer Kreislaufwirtschaft entsprechen, plädiert Hebel: „Wir müssen vermehrt eine Verlagerung hin zum regenerativen Anbau, zur Zucht und Kultivierung von Ressourcen und Baumaterialien anstreben, anstatt uns weiterhin auf endliche Vorkommen zu verlassen.“

Die Wohnanlage mit 60 Sozialwohnungen im dänischen Aarhus gilt als das erste gemeinnützige Wohnbauprojekt in Dänemark, das nach Prinzipien der Kreislaufwirtschaft („Circle House“) errichtet wurde. Die Bautypologie besteht aus zwei- bis dreistöckigen Reihenhäusern sowie fünfstöckigen Bautürmen, die mit Hilfe von sechs verschiedenen Fertigteilelementen aus Beton gebaut wurden. „Das deklarierte Ziel des Circle House war, 90 Prozent der verwendeten Bauteile ohne Wertverlust wiederverwenden zu können“, erklärt Casper Østergaard Christensen, Architekt in der Innovationsunit GXN des Kopenhagener Architekturbüros 3XN und Experte für kreislauffähiges Bauen. Das Büro war maßgeblich an der Projektplanung beteiligt. „Die im Pilot-Projekt verwendeten Bauteile wurden u. a. mit einem RFID-Chip versehen. Der Chip selbst funktioniert wie ein Barcode. Beim Scannen wird man zu einer Reihe von Informationen über die Bauweise und die Zusammensetzung des betreffenden Bauteils geführt, die in einer Cloud gespeichert sind“, so Østergaard Christensen. „Die Wiederverwendung von Bauteilen ist ein Meilenstein, um das Bauen nachhaltiger, effizienter und kostengünstiger zu machen“, ist auch Anton Glasmaier, Geschäftsführer Verband Österreichischer Beton- und Fertigteilwerke und Vorstandsvorsitzender Betondialog Österreich, überzeugt.

Prozesse neu denken

Die IG Lebenszyklus Bau hat soeben einen Leitfaden zum modularen Bauen als Ergebnis einer Arbeitsgruppe unter der Leitung von Lukas Kral, Dietrich Untertrifaller, Felicitas Stocker, Delta und Wolfgang Kradischnig, Delta, präsentiert. Dabei steht die standardisierte Produktion im Zentrum, als auch die Notwendigkeit, dass Planungs- und Bauprozesse neu gedacht werden müssen. Denn nach wie vor werden Unikate errichtet und zu wenig auf vorgefertigte Bauteile gesetzt. Architekt Mies van der Rohe prognostizierte 1924: „Die industrielle Herstellung aller Teile lässt sich erst im Fabrikationsprozess wirklich rationalisieren und die Arbeit auf der Baustelle wird dann ausschließlich einen Montagecharakter tragen und auf eine ungeahnt kurze Zeit beschränkt werden können. Das wird eine bedeutende Verbilligung der Baukosten zur Folge haben.“

Der Leitfaden betont, dass der Systembau grundsätzlich Baustoff unabhängig ist, die Vorfertigung erfolgt im Werk, die Montage auf der Baustelle. Notwendige Voraussetzung für den Modulbau ist jedoch Standardisierung: Je mehr Bauteile des Gesamtbauwerkes standardisiert werden, desto höher ist der Standardisierungsgrad. Ein hoher » Standardisierungsgrad bedeutet, dass die Bauteilmaße an ein fixes Raster gebunden sind.

Unterschieden wird in die Skelettbauweise, die Wand- und Deckenbauweise und die Container- oder Raumzellenbauweise. Zu den Produktionsprinzipien zählen Mechanisierung, Automatisierung und Robotik. Parallel zur Höhe des Industriealisierungsgrades sinken die manuell notwendigen Arbeitsschritte auf der Baustelle. Die Arbeitsgruppe der IG Lebenszyklus Bau ist davon überzeugt, dass durch Serieneffekte, bei denen Module auf andere Bauaufgaben übertragbar werden, langfristig erhebliche Kostensenkungen erzielt werden. Im Zentrum stehen folgende Aspekte, die bei jedem Bauvorhaben berücksichtigt werden sollten und zugleich modulare Bauweisen auszeichnen: Kreislauffähigkeit (Wiederverwendung etc.), ressourcenschonende Herangehensweise, Verwendung nachwachsender Rohstoffe, CO2 (auch graue Energie) – Montagebau – Demontage (auch reparieren, ersetzen, aufstocken, nachverdichten).

Bauen neu denken

„Es ist höchste Zeit, dass Bauen neu zu denken“, ist auch Werner Sobek, Architekt und Bauingenieur, Gründer und Designer von aktivhaus, dem Vorzeigebeispiel für den mehrgeschossigen, sozialen Wohnbau, überzeugt. Seine Forderungen an das Bauen: Das Gebäude benötigt in der Jahresbilanz nicht mehr Energie, als es selbst aus nachhaltigen Quellen erzeugt. Das Gebäude produziert keine CO2- oder andere für den Menschen schädlichen Emissionen. Alle Bauteile können am Ende des Lebenszyklus vollständig in biologische oder technische Kreisläufe überführt werden. Das Grundstück kann ohne Altlasten oder sonstige Rückstände renaturiert werden.

In Stuttgart entsteht zurzeit sein bis dato größtes Projekt in serieller Bauweise und nach den aktivhaus-Prinzipien ausgeführt: 330 Wohnungen für Mitarbeiter des Klinikums Stuttgart, Bauherr ist die Stuttgarter Wohnungs- und Städtebaugesellschaft, SWSG. Samir M. Sidgi, Vorsitzender der Geschäftsführung der SWSG, erläutert: „Mit der Vertragsunterzeichnung geben wir den Startschuss für ein Leuchtturmprojekt in Stuttgart und darüber hinaus. Bereits in der Bauphase setzen wir auf Nachhaltigkeit und Effizienz.“ Das Quartier mit sechs Gebäuden verbindet zeitsparende Bauabwicklung, maximale Energieeffizienz und hohe Aufenthaltsqualität miteinander.

Eines der prominentesten Bausystem-Beispiele ist das mit einer Vielzahl an Preisen bedachte Ikea beim Wiener Westbahnhof. Querkraft Architekten entwarfen eine Skelettbauweise, die eine völlige Flexibilität in der Nutzung zulässt. Das „lebendige Stadtregal“ wurde mit vorgefertigten Stahlbetonstützen und thermisch aktivierten Betondecken errichtet.

Fokus Sanierung

Auch Bauunternehmen tüfteln an effizienteren Bauweisen. Die Strabag entwickelte z. B. gemeinsam mit Sascha Bührle eine Raummodullösung, bei der die Einheiten jedoch nicht aufeinandergestapelt werden, sondern in einen Rahmen eingeschoben werden. Im Grunde folgt die Idee dem Legoprinzip – mit einer vereinfachten Statik.

Bauen mit Fertigteilen ist die Expertise von Mischek Systembau. Aktuell fertiggestellt wird der Wohnbau Green Eastside in Wien. Das Besondere bei Mischek-Projekten mit dem Deckenelementsystem strong & active: In den vorgefertigten Decken ist die Bauteilaktivierung integriert – die Rohre werden von einem eigens entwickelten Roboter vorab verlegt.

Unter dem Stichwort sozialverträgliche Verdichtung widmet sich das Baubüro in situ aus der Schweiz zunehmend in die Tage gekommene Wohnsiedlungen, die vor allem ökologisch schlechte energetische Werte haben. in situ verwertet so gut wie alle Materialien oder Bauteile, modulare Elemente sind auch bei Sanierungen willkommen. Die Siedlung Bergacker in Zürich stammt aus den 50er Jahren, zunächst sollte sie abgerissen werden. Nun gibt es neue Bestrebungen, die Siedlung mit Systemelementen zu ertüchtigen und aufzustocken – also mehr Wohnraum, mehr Nachhaltigkeit für nicht mehr Geld für die Mieter, so die Idee dahinter.

Kostengünstiger Wohnbau

Smaq-Max in St. Pölten ist ein kostengünstiger Wohnbau der BWSG, welcher als Systembauwerk in einer Mischbauweise aus Holz- und Stahlbetonfertigelementen vor Ort montiert wurde. Das System wurde von Artec Architekten Bettina Götz + Richard Manahl und wup_ZT GmbH, in Kooperation mit raum kommunikation, erarbeitet. Auf 15.500 auf vier Bauteilen gibt es 185 Wohnungen. Die Geschossstruktur der Gebäude („Decks“) besteht aus Stahlbetonstützen mit betonvergossenen Stahlträgern und dazwischenliegenden Betonfertigteil-Hohldielen als unbrennbare Tragstruktur. Die thermische Gebäudehülle wird als vorgefertigte Holzkonstruktionen montiert. Die Wohnungen sind ausschließlich durchgesteckte, querlüftbare Einheiten in Ost-West Orientierung. Die klare Grundstruktur mit gerasterter TGA-Versorgung schafft Raum für Flexibilität.


Nachfolgebauvorhaben ist das IBA-Projekt „Smaq am Park“ im 22. Bezirk in Wien, mit 323 geförderten Mietwohnungen. Das Konzept beruht ebenso auf serieller Bauweise, mit der ein nutzungsoffenes Gebäude mit hohem Vorfertigungsgrad hergestellt werden kann. Für die Mieter bringt das helle Wohnungen und große private Freiräume. Mies van der Rohe war ein Visionär, schon gibt es einzelne Beispiele – doch immer noch ist das modulare Bauen eher Vision als Realität.