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Rechtliche Hürden beim Gebäudetyp E

Der Gebäudetyp E geht aus einer deutschen Initiative hervor, um Bauprojekte mutmaßlich schneller, kostengünstiger und ressourcenschonender zu realisieren. Dabei sollen grundlegende Schutzziele wie Brandschutz, Statik oder Barrierefreiheit nicht aus den Augen verloren werden. Gewisse Projektbeteiligte (sogenannte „Fachkundige Unternehmer“) sollen die Möglichkeit erhalten, auf bestimmte Komfort- und Ausstattungsstandards zu verzichten und sich stattdessen auf die Kernanforderungen konzentrieren können.

Bereits 2023 wurden Pilotprojekte in Bayern umgesetzt. Im Jahr 2024 verabschiedete das deutsche Bundeskabinett zudem den Entwurf eines Gebäudetyp-E-Gesetzes („Entwurf eines Gesetzes zur zivilrechtlichen Erleichterung des Gebäudebaus“). Dieses Gesetz ist noch nicht in Kraft getreten und wurde in der Begutachtungsphase von Juristen teilweise stark kritisiert, markiert aber einen Impuls in Richtung flexiblerer rechtlicher Grundlagen im Bauvertragsrecht.

Kernstück des Gesetzentwurfs ist die Anpassung des Bauvertragsrechts im deutschen BGB (Bürgerlichen Gesetzbuch). Dadurch soll es erleichtert werden, Abweichungen von den sogenannten „anerkannten Regeln der Technik“ zu vereinbaren – soweit diese für die Gebäudesicherheit nicht erforderlich sind. Dabei soll auch ein spezieller Vertragstyp geschaffen werden, der Fachunternehmen von weitreichenden Aufklärungspflichten befreit, wenn im Einvernehmen von den anerkannten Regeln der Technik abgewichen wird. Zudem soll klar definiert werden, bei welchen Abweichungen von den anerkannten Regeln der Technik (k)ein Sachmangel vorliegt.

Österreich im „Normendschungel“

Auch die österreichische Bauwirtschaft sieht sich mit einem zunehmend dichteren Netz aus regulativen Vorschriften konfrontiert – dies ist sowohl für öffentlich-rechtliche Fragen (wie Baubewilligungen) als auch zivilrechtliche Aspekte (wie die geschul­dete Leistung im Bauvertrag) relevant. Von Vorgaben auf Gemeindeebene zu neun landesgesetzlichen Bauordnungen und den OIB-Richtlinien, von Fachregeln und Herstellerangaben bis hin zu Önormen und europäischen EN-Normen: Das System schafft zwar scheinbare, minutiös geregelte Rechtssicherheit, führt in der Praxis jedoch zu erheblicher Bürokratie und der faktischen Unmöglichkeit, ein Bauprojekt in jedem Detail, ohne jegliche Abweichung zu realisieren. Alle Projektbeteiligten (seien es Bauherren, Planer, ausführende Unternehmen, aber auch Behörden) müssen unzählige Vorgaben beachten, deren Einhaltung oft rechtlich vorgegeben, technisch für den Projekterfolg aber nicht zwingend erforderlich sind. 

Relevanz des Gebäudetyp E für Österreich

Auch in Österreich wäre ein Durchforsten und Kahlschlag im rechtlich-technischen Normendschungel wünschenswert. Gleichzeitig bleibt aus juristischer Sicht die Frage, ob dies durch ein neues Gesetz als Allheilmittel erfolgen soll und kann oder die Lösung tatsächlich näher liegt.

Denn öffentlich-rechtlich (in Bauordnungen und anderen gesetzlichen und behördlichen Vorgaben) gibt es oftmals bereits die Möglichkeit, in begründeten Fällen von gewissen technischen Vorgaben auch abzuweichen. Hier durch eine Anpassung der normativen Grundlagen noch mehr Flexibilität zu schaffen, ohne sicherheitsrelevante Aspekte aus den Augen zu verlieren, ist wünschenswert.

Haftungsrechtliche Fragen im Bauvertragsrecht

Für die zivilrechtliche – also beispielsweise kauf-, miet- oder bauwerkvertragliche – Seite gilt, dass die „anerkannten Regeln der Technik“ generell die Untergrenze der geschuldeten technischen Ausführungsqualität darstellen. Was konkret die „Regeln der Technik“ sind, ergibt sich häufig – aber nicht in jedem Fall zwangsläufig – aus den jeweils einschlägigen technisch-normativen Grundlagen (wie eben OIB-Richtlinien, Önormen, Fachregeln, Herstellervorgaben etc.). In einem Streitfall muss man zudem lakonisch feststellen: Was den Regeln der Technik entspricht (oder nicht), entscheidet nur der vom Gericht bestellte technische Sachverständige. 

Bereits jetzt ist es zwischen Unternehmern (also im B2B-Bereich) möglich, vertraglich von den „Regeln der Technik“ abzuweichen. Wesentlich ist in diesem Zusammenhang, dass diese Abweichung öffentlich-rechtlich zulässig sein muss, andernfalls zwar der Planer oder Ausführende möglicherweise ­zivilrechtlich nicht haftet, aber eine öffentlich-rechtliche Problematik mit Baubewilligung und Konsens vorliegen kann.

Auch das Konzept „Fachkundige Unternehmer“ überzeugt nicht. In der Vertragskette mag zwar am Anfang ein Vertrag zwischen dem unternehmerisch tätigen Liegenschaftseigentümer und dem Planer oder der Fachfirma stehen und alle Beteiligten können vertraglich wirksam Abweichungen von den Regeln der Technik vereinbaren. In der weiteren Vertragskette gibt es jedoch oftmals Mieter, Käufer von Bauträgerprojekten oder sonstige Verbraucher, die gesetzlich sehr gut geschützt sind. Ob und in welcher Weise mit solchen Personen wirksam ein Abgehen von den Regeln der Technik vereinbart werden kann, ist zweifelhaft und für den Unternehmer mit hohem rechtlichem Risiko verbunden. 

Eng damit verknüpft bleibt die Prüf- und Warnpflicht der Planer, Konsulenten und ausführenden Unternehmen – auch gegenüber den grundsätzlich fachkundigen Auftraggebern. Werden Bauleistungen in Abweichung von den Regeln der Technik erbracht, ohne dass dies ausdrücklich vertraglich vereinbart wurde, trifft den Werkunternehmer die Pflicht, den Auftraggeber rechtzeitig und umfassend auf etwaige Risiken hinzuweisen. Unterbleibt eine solche Aufklärung, drohen erhebliche haftungsrechtliche Konsequenzen.

Fazit
Damit das Konzept von Gebäudetyp E auch in Österreich (haftungs-)rechtlich tragfähig wird, ist somit eine Anpassung zahlreicher Rechtsvorschriften erforderlich. Gleichzeitig könnte einiges, aber bei weitem nicht alles im B2B-Bereich auch mit bestehenden vertraglichen Instrumenten gelöst werden. In jedem Fall sind alle Beteiligten bei der derzeit geltenden Rechtslage gut beraten, nicht von den anerkannten Regeln der Technik abzuweichen. Ob Gebäudetyp E somit Realität wird, bleibt abzuwarten. ■