Architekt Daniel Fügenschuh
Die Vorgaben der Europäischen Gebäuderichtlinie sind bereits vor einem Jahr in Kraft getreten – im Dezember hat die Kommission mit der Überarbeitung der Richtlinie die Weichen in Richtung Renovierung gestellt – eine richtige Entscheidung aus Ihrer Sicht?
Daniel Fügenschuh: Es findet damit ein Paradigmenwechsel statt – erstmals besteht eine direkte Verpflichtung für EU-Bürger und Unternehmen, ihre Wohnungen und Immobilien zu renovieren. Nach Angaben der Europäischen Kommission werden die neuen EPBD-Standards (Energy Performance of Buildings Directive/Europäische Gebäuderichtlinie, Anm. d. Red.), die im vergangenen Jahr vorgestellte „Renovierungswelle“ der EU unterstützen, deren Ziel die Renovierung von 35 Millionen Wohnungen ist. Hier müssen wir auch dringend etwas tun, denn über 85 Prozent der heutigen Gebäude werden im Jahr 2050, wenn Europa klimaneutral sein muss, noch stehen. Die sogenannte Renovierungswelle des Green Deal setzt die Priorität in der Erhaltung des Gebäudebestands als wichtigste Maßnahmen zur Ressourcenschonung und Vermeidung von Baurestmassen. Wenn bei funktionaler Sanierung Abbruch unvermeidbar ist, müssen aber neue Techniken und Prozesse entwickelt werden, um Baurestmassen nicht nur zu recyceln, sondern möglichst auch Elementweise neu einzusetzen (Re-Use) oder sogar hochwertiger als neuen Baustoff einzubringen (Upcycling). Es gibt schon einige Vorzeigeprojekte, wo man mit Fassadenteilen und dergleichen arbeitet. Den Ansatz, schon in der Planungsentscheidung an diese Dinge zu denken, gibt es auch schon. Und mit BIM, wo jedes Bauteil definiert ist, gibt es auch die Möglichkeit, diese Bauteile technisch zu erfassen.
Worin bestehen aus Ihrer Sicht die größten Herausforderungen?
Das Wiedereinbringen bestehender Bauelemente zur Ermöglichung einer umfassenden Kreislaufwirtschaft braucht die Phantasie und Kreativität der Entwerfenden auf der einen Seite und solide technisch verlässliche Begutachtung und (Re-) Zertifizierung andererseits. Mit den herkömmlichen Prüfabläufen ist das kaum zu schaffen. Da braucht es auch Anpassungen von aktuellen Strukturen, wie sie zum Bespiel im New European Bauhaus Lab diskutiert werden sollen. Problematisch sieht es auch auf Seiten der Fachkräfte aus, die die Bestandssanierungen umsetzen sollen. Überall fehlt es an Handwerkerinnen und Handwerkern, und die Betriebe finden nicht genügend Nachwuchs. Die Kombination aus Sanierungspflichten und Fachkräftemangel könnte dann zu stark steigenden Baupreisen führen. Es könnte auch eine Abrisswelle drohen, weil die geforderten Standards für viele bestehende Gebäude nicht erreichbar sind. Das wäre kontraproduktiv für den Klima- und Ressourcenschutz.
Was können Planer zur Umsetzung der Europäischen Gebäuderichtlinie beitragen?
Meist geht ein schlechter energetischer Zustand mit einem baulich desolaten Zustand des Gebäudes einher. Daher dürfte es bei vielen Gebäuden nicht bei einer energetischen Sanierung bleiben, sondern wird grundlegender Modernisierungs- und gegebenenfalls Umbaubedarf bestehen. Und spätestens dann müssen Architekten mit ins Boot geholt werden. Wir beobachten schon seit längerem, dass es bei Planungsaufgaben zunehmend um das Bauen im Bestand und die Weiterentwicklung der Altbauten geht. Dieser Trend wird sich durch die Sanierungspflichten sicherlich verstärken.
Auch eine Chance für den Berufsstand der Ziviltechniker …
Ich denke schon. Wenn der Eigentümer die Chance nützen und im Zuge der Sanierung einen Mehrwert schaffen möchte, dann braucht es jemanden, der sich vertieft damit auseinandersetzt. Und das ist unsere Kernkompetenz. Wir arbeiten ja auch interdisziplinär mit anderen Fachleuten zusammen. Als Architekten haben wir den Überblick und können das auch gegenüber Behörden, Auftraggebern, gegenüber der Gesellschaft kommunizieren. Da gibt es ganz viele Aspekte, die in diesen nächsten Jahrzehnten noch deutlich mehr gefordert und gefragt sein werden.
Sind die Planer auf diese Renovierungswelle, wie Sie sie erwarten, vorbereitet?
Grundsätzlich ist die Renovierung ein Spezialisierungsgebiet, das einen sehr großen Bereich des Betätigungsfeldes von Architekten abdeckt. Der stärkere Fokus auf das Planen und Bauen im Bestand ist für Architekten im Vergleich zum Neubau mit einem höheren Planungsaufwand verbunden und erfordert von ihnen Kenntnisse über historische Architekturen, deren Baukonstruktion, Materialität und Bauphysik. Sie müssen sich verstärkt mit den Themen Nachhaltigkeit, ressourcensparendes und kreislaufgerechtes Bauen, Beheizen und Kühlen mit erneuerbaren Energien, Energieeffizienz und Lebenszykluskosten auseinandersetzen. Deshalb muss die Ausbildung an den Hochschulen noch stärker auf die Anforderungen des Planens und Bauens im Bestand ausgerichtet werden und der Berufsstand durch Fortbildungen zügig auf die neuen Rahmenbedingungen eingestellt werden. In der alltäglichen praktischen Arbeit wird es künftig noch stärker darauf ankommen, auf Energetik und Bauphysik spezialisierte Fachkräfte in die Planungsteams zu integrieren.
Sie haben vorhin „Das Neue Europäische Bauhaus (NEB)“ angesprochen – können hier praxistaugliche Konzepte herauskommen? Ausgezeichnet wurden unter anderem Bauteile aus Stampflehm – sind solche Konzepte überhaupt massentauglich?
Ja, definitiv wird das NEB zahlreiche praxistaugliche Konzepte hervorbringen – alleine in Österreich gibt es da zahlreiche exzellente Forschungsprojekte, bei denen Praktiker wie Ziviltechniker mit Universitäten und Forschungsinstituten kooperieren. Das Siegerprojekt „Erden Pure Wände“ hat bei den New European Bauhaus Awards die Wichtigkeit der Bauprodukte sichtbar gemacht: Die Entwicklung neuer Baustoffe und Bauprodukte und die Forcierung von Sekundärbaustoffe – z.B. Lehmbau – ist ein wichtiger Aspekt und muss in Kooperation aus Baustoffindustrie, dem (regionalem) Handwerk, der Recyclingwirtschaft und den Planern (Einbaubedingungen, Demontierbarkeit, Trennbarkeit, Reuse und Recycling, Umweltwirkungen) passieren. Gerade der Lehmbau würde die Möglichkeit bieten, den Aushub, der derzeit klimabelastend von der Baustelle abtransportiert wird, als Baumaterial zu verwenden. Das wäre ein enormes Einsparpotenzial, das die höheren Gestehungskosten durch den Lehmbau egalisieren könnte. Grundsätzlich wird man bei der im New European Bauhaus und im Green Deal forcierten kreislaufwirtschaftlichen Herangehensweise wird man sogenannte „billige Lösungen“ ganz gravierend neu überdenken müssen. Wir wissen schon lange, dass Lösungen, bei denen vor allem in der Planungsphase gespart wird, im Lebenszyklus gesehen in der Regel wesentlich höhere Kosten anfallen. Zusätzlich müssen sich Auftraggeber und Öffentlichkeit dann auch noch mit unbefriedigenden Ergebnissen solcher billigen Lösungen herumschlagen, weil diese häufig später – mit großem finanziellen und sonstigem Aufwand – angepasst werden müssen. Ob wir es in Zukunft tatsächlich schaffen, in ganz Europa in der täglichen Arbeit vorwiegend solche hochwertigen und kostengünstigen nachhaltigen Lösungen umzusetzen, ist stark von den zugrundeliegenden Vergabeverfahren abhängig.
Welche Vergabeverfahren brauchen wir?
Die Vergabe der Planungsleistungen muss offen und qualitätsorientiert erfolgen und nicht durch einen Preiswettbewerb. Die verpflichtende Anwendung des im EU-Vergaberecht bereits grundsätzlich vorgesehenen Bestbieterprinzips (MEAT) für Planungsleistungen muss europaweit verpflichtend verankert werden. Der MEAT-Ansatz erlaubt der beschaffenden Stelle, alle relevanten qualitativen, technischen und sonstige Kriterien in unterschiedlicher Gewichtung in ihre Vergabeentscheidung einfließen zu lassen. Ziel sollte sein, das Angebot mit dem besten Preis-Leistungs-Verhältnis zu ermitteln. Zur Erreichung der Ziele des New European Bauhaus sind auch Architekturwettbewerbe ein hocheffizientes Instrument. Ihr breiter Einsatz ist ein sehr effektiver Weg zur Sammlung einer großen Zahl an innovativen, nachhaltigen, inklusiven und ästhetischen Lösungen die in einem gut dokumentierten ganzheitlichen Entscheidungsprozess bewertet werden. Es sind partizipative Verfahren, die außerdem ein Eingehen auf die Bedürfnisse von Nutzern und Öffentlichkeit ermöglichen. Das optimiert nicht nur die Planungslösungen, sondern führt auch zu einer stärkeren Identifikation mit der (gebauten) Umwelt. Über die Durchführung von Architekturwettbewerben kann jährlich eine beträchtliche Anzahl von Menschen erreicht und in nachhaltige Planungsprozesse eingebunden werden.
Sie äußern sich auch immer wieder im Zusammenhang mit der Eindämmung des Bodenverbrauchs in Österreich und suchen das Gespräch mit den Kommunen – mit welchem Erfolg?
Ich glaube an das Gute und bin ein Optimist. Gemeinden sind gut damit beraten Ziviltechnker hinzuzuziehen, auch aufgrund von Haftungsfragen. Die Leistungen von Ziviltechnikern in der Raumplanung gehen weit über die klassischen Planungsaufgaben hinaus. Ziviltechniker unterstützen die Kommunen mit örtlichen und interkommunalen Entwicklungskonzepten, Stadtentwicklungskonzepten, digitalen Flächenwidmungsplänen, der von Entwicklungs- und Erschließungskonzepten, Masterpläne für Industrie- und Betriebszonen bzw. für Stadterweiterungen, Flächenbilanzen oder Baulandmobilisierungskonzepten. Damit können Gemeinden ihren öffentlichen Raum aktiv gestalten.
Wäre die Einbindung eines Gestaltungsbeirats im Zusammenhang mit Raumplanung ein sinnvolles Instrument?
Ich glaube, dass Gestaltungsbeiräte für Raumplanungsfragen bestens geeignet sind. Wenn man Bedarf hat für Stadterweiterung oder -erneuerung, sollte man als Kommune unbedingt an solche qualitätssichernden Gremien denken. Die Problematik hat man vor allem in Ballungsräumen, wo die politische Kompetenz oft geteilt ist. Dafür würde sich ein fliegender Beirat anbieten, der bei Bedarf eingesetzt wird. Das könnte auf Länderebene angeordnet sein. Auch bei topografischen Besonderheiten eignen sich Gestaltungsbeiräte hervorragend. Ein gutes Beispiel dafür ist das Zillertal in Tirol, das die Intention hat, einen Beirat einzurichten, um die Interessen eines realen Siedlungsraums abzubilden.
Sie haben sicherlich in diesem Zusammenhang die Diskussionen verfolgt, den Bürgermeistern die Raumordnungskompetenz streitig zu machen – wie ist Ihre Meinung dazu?
Wir sehen, dass es so nicht funktioniert. Aber ich glaube nicht, dass die Lösung allein darin besteht den Bürgermeistern die Entscheidungskompetenz wegzunehmen, sondern man sollte sie besser mit Expertise versorgen. Das gehört zu unseren Kernkompetenzen.
MEAT (= Most Economically Advantageous Tender)
Der MEAT-Ansatz erlaubt der beschaffenden Stelle, alle relevanten qualitativen, technischen und sonstige Kriterien in unterschiedlicher Gewichtung in ihre Vergabeentscheidung einfließen zu lassen.
Ziel sollte sein, das Angebot mit dem besten Preis-Leistungs-Verhältnis zu ermitteln. Mögliche Kriterien sind unter anderem:
- (Produkt-/Dienstleistungs-)Qualität
- Ästhetische und funktionale Eigenschaften
- Kundendienst und technische Hilfestellung
- Lieferzeitpunkt, -dauer und Reaktionszeit
- Kosteneffektivität
- Technische Leistung, Innovationsgrad
- Umwelt, Nachhaltigkeit und volkswirtschaftliche Faktoren
- Anschaffungspreis
- Betriebskosten
- Entsorgungskosten
>> Die Berechnung der Lebenszykluskosten umfasst alle Kostenbestandteile, auch diejenigen außerhalb der Beschaffung selbst.
>> Der Kaufvorgang wird als Transaktion interpretiert und in drei Phasen eingeteilt: Alle Kosten vor, während und nach einer Vergabe müssen berücksichtigt werden (Prä-Transaktions-, Transaktions- und Post-Transaktionskosten).
>> An die Stelle der Realisierung eines möglichst niedrigen Einstandspreises tritt eine Gesamtkostenbetrachtung („Prinzip der langfristigen Wirtschaftlichkeit“), die höhere Einstandspreise mit mittelfristig niedrigeren Betriebskosten rechtfertigt. Dazu sollten alle (zukünftigen) Kostenkomponenten möglichst quantitativ ermittelt und mithilfe eines risikobewerteten Zinssatzes auf den Entscheidungszeitpunkt diskontiert werden.
>> So können die langfristigen Wirkungen innovativer Leistungen/Produkte (zum Beispiel niedrige Umweltbelastungskosten oder Betriebskosten) sowie Risiken berücksichtigt werden. Lieferanten, die aufgrund innovativer Produkte Rationalisierungseffekte in der Nutzung umsetzen, können so gegenüber Anbietern mit niedrigerem Einstandspreis den Vorzug erhalten.
Architekt DI Daniel Fügenschuh
Ist Vizepräsident der Bundeskammer der ZiviltechnikerInnen und Vorsitzender der Bundessektion ArchitektInnen. In Innsbruck betreibt er ein eigenes Architekturbüro, die „Architekt Daniel Fügenschuh ZT GmbH“.