Illustration Baukulturreport globales Szenario
Der dritte Baukulturreport soll Aktivitäten in der Politik auslösen © Andrea Maria Dusl
© Andrea Maria Dusl

Dritter Baukulturreport

Szenarien wie sich die Welt bis 2050 entwickeln könnte, sind wichtig für die Bewusstseinsbildung bei konkreten politischen Entscheidungen. Mit dem dritten, vom Bundeskanzleramt beauftragten, Baukulturreport sollen globale Ereignisse und ihre Auswirkungen für Österreich und seine Bauphilosophie greifbar gemacht sowie Verantwortung zur Positionierung eingefordert werden.

„Ich weiß schon (...), das alles ist sehr kompliziert so wie diese Welt, in der wir leben und handeln, und die Gesellschaft, in der wir uns entfalten wollen. Haben wir daher den Mut, mehr als bisher auf diese Kompliziertheit hinzuweisen“, sagte einst Altkanzler Fred Sinowatz in seiner vielzitierten Regierungserklärung 1983. Man würde sich ein so menschliches Bekenntnis auch heute wünschen. Der dritte Baukulturreport öffnet jedenfalls die Diskussion für einen mutigen Realismus. Die Plattform Baukulturpolitik hat den Report mit einer wahren Avantgarde an Experten aus zahlreichen Disziplinen erarbeitet, das heißt es waren sinnvollerweise nicht nur der 28 Mitglieder umfassende Beirat für Baukultur sondern Soziologen, Ökologen, Ökonomen, Philosophen und Vertreter weiterer buchstäblich sachdienlicher Wissenschaftszweige involviert.

Denn nur die ganzheitliche Betrachtung schärft das Verständnis dafür, dass das Planen und Bauen eine Konsequenz sehr verschiedener, auf den ersten Blick vielleicht von Architektur entfernter Ereignisse ist. Tatsächlich aber führen gewissermaßen alle Wege zur Architektur und zur Landschaftsentwicklung oder jedenfalls keiner daran vorbei. Besonders dann nicht, wenn der Beobachtungszeitraum entsprechend langfristig ist und das ist nun mal beim Bauen unvermeidbar. Mit der Vision 2050 wurde ein Datum gewählt, das bereits die Auswirkungen des Klimawandels markant spürbar macht und gleichzeitig die Schwelle vom fossilen zum erneuerbaren Energiezeitalter markieren könnte.

Global, integral und national

Im Gegensatz zu den beiden Vorgänger-Reporten, deren Fokus die Formulierung von Zielen und damit verbunden die Ableitung von Empfehlungen an die Politik war, ist die Ausrichtung des nun vorliegenden Baukulturreports eine methodisch andere: Es sollen Entwicklungen anschaulich werden, die möglich sind, unabhängig davon, ob sie für den Einzelnen und die Gemeinschaft erwünscht sind.

So lenkt sich die Aufmerksamkeit von einer durch die Vergangenheitsbetrachtung genährten Zukunftsforschung auf eine alternative Modelle zentrierende Betrachtung der Zukunft. Die wissenschaftliche Strenge erforderte eine dementsprechend detaillierte Darstellung von 22 Entwicklungsszenarien. Die pragmatische Lösung führte schließlich zu drei, für eine weitere Bearbeitung besonders taugliche Szenarien. Diese wurden als global, integral und national bezeichnet. Man kann vorweg nehmen, dass letztlich nur eines wirklich erfreut, nämlich die integrale Entwicklung.

 Da immer eine starke wirtschaftspolitische Komponente mit den Szenarien verbunden ist, wäre auch eine Etikettierung in neoliberale, sozial marktwirtschaftliche und nationale denkbar. Entscheidend für den praktischen Nutzen waren zunächst eine Identifizierung von Inhalten und eine Konzentration darauf, was für die österreichische Baukultur besonders bedeutsam ist. Dadurch kristallisierten sich vier Politikfelder heraus, die in den Szenarien als Erzählstränge abgebildet wurden: Landschaft als Ressource, Stadt und Region, Wohnbau und der öffentliche Sektor.

Wachsender Wettbewerb um Fläche

Eines ist offensichtlich: Die wachsende Konkurrenz um Flächen spielt in allen drei Szenarien eine gravierende Rolle. Schon heute ist der Kampf um den Boden massiv. Landwirtschaft, Tourismus, Ausweitung des urbanen Raums, Erhalt der Biodiversität oder das Etablieren erneuerbarer Energiegewinnung in Form von Windkraft-, Solar- oder Wasserkraftanlagen verhalten sich expansiv in einem vorgegebenen, beschränkten Raum. Darüber hinaus droht durch Erosion und andere Prozesse des Klimawandels ein Verlust an Ackerfläche oder nutzbaren Böden.

Die integrale Perspektive geht von einem hohen Umweltbewusstsein aus und prognostiziert die Bereitschaft, sich umzuorientieren, vor allem hinsichtlich der Mobilität und der Verdichtung. In diesem Szenario sind die anlässlich der Pariser Klimakonferenz apostrophierten 2°C an globalem Temperaturanstieg Realität geworden. Diese glimpfliche Entwicklung würde dennoch zu einem fast gänzlichen Verlust der Vergletscherung führen, die beiden anderen Szenarien erzählen von eisfreien Alpen.

Damit einher geht ein gänzlich verändertes Landschaftsbild. Selbst wenn man Österreich als Gewinner eines Klimawandels sieht und Kärnten als zukünftige Riviera betrachtet, das Burgenland Rioja anbaut und in der Steiermark Zitronen wachsen, dann lässt sich die Inselsituation leider nur in der Imagination bewahren. Diese Situation zieht automatisch den Schluss nach sich, dass der Migrationsdruck enorm steigt und Europa aufgrund seiner attraktiven Klimata mit einem Vielfachen der gegenwärtig bestehenden Migration konfrontiert wäre. Von der Zuwanderung hängt dann wesentlich die Frage der Neubautätigkeit ab und damit sind wir wieder bei einem zusätzlichen Treiber des Konkurrenzkampfes um Fläche.

Stadt, Land, Fluss

Der Wunsch nach einem Einfamilienhaus ist zwar nicht genetisch bedingt, aber er scheint eine zentrale Rolle in der Lebensplanung so vieler einzunehmen. Selbst wenn dieser Traum des Einzelnen verständlich ist, so bedeutet die Summe ein beträchtliches Konfliktpotenzial. Im globalen Szenario wachsen Ballungsgebiete noch stärker zusammen und die intensiv genutzte Bewirtschaftungsfläche wird großräumlich organisiert. Dadurch verschwinden allerdings Siedlungen in ländlichen Räumen. Das Wohnen unterliegt privatwirtschaftlichen Interessen und sorgt für eine zunehmende soziale Segregation. Diese neoliberale Entwicklung wird aber auch Konsequenzen für die Investitionsbereitschaft der öffentlichen Hand haben, denn diese wird auf allen drei Verwaltungsebenen – Bund, Land, Gemeinde – zurückgedrängt. Dadurch sind internationale Konzerne vermehrt in der Rolle von Generalplanern und die baukulturelle Gesamtsteuerung büßt beträchtlich an Zugriff ein.

Beim nationalen Szenario hingegen geht man von einer Schrumpfung der Bevölkerung aus, womit Städte schrumpfen, gleichzeitig jedoch die Landwirtschaft wachsen muss, will sie die Versorgungsleistung hoch halten. Zumal sie mit ebenfalls wachsenden Einfamilienhaus-Siedlungen konkurriert. Mit der Idealisierung des Ländlichen sowie dem Bemühen, regionale Strukturen und Identifikation zu erhalten, steigen Föderalismus und Subsidiarität. Zwar profitieren so Handwerksbetriebe und auch die nationale Baustoffproduktion, allerdings vermindert dieses Szenario die Chancen größerer Bauunternehmen auf dem internationalen Markt.

Wohnbau und sozialer Friede

Besondere Betrachtung erfahren auch der Wohnbau und sein Wandel. Da die Wohnbauförderung nicht mehr an Bauvorhaben gebunden ist, weicht sich die soziale Verantwortung der öffentlichen Hand für das Grundbedürfnis Wohnen auf. In allen drei Szenarien zeigt sich unterschiedlich dramatische Entwicklung bezüglich der sozialen Kluft, der Ghettoisierung des Wohnens und der Verhaftung mit den Herkunftsmilieus. Im globalen Szenario wachsen beispielsweise die informellen Wohnformen, womit in erster Linie praktische Bedürfnisse befriedigt werden, die Rolle einer gesamtheitlich koordinierten Stadtentwicklung jedoch empfindlich an Einfluss verliert. Im nationalen Szenario nimmt der Anteil der Bevölkerung mit Migrationshintergrund im mangelhaften Altbau zu. Sollte es zu Abrissen kommen, wären großflächige Neuanlagen die  angenommene Lösung – Trabantenstädte wie wir sie eigentlich schon überwunden geglaubt haben.

Chancen und Risiken

Selbstverständlich spannend ist die Frage, wie sich die Rolle der öffentlichen Hand entwickeln könnte, wie sehr der Staat zurückgedrängt wird oder sich doch als weiser Spielleiter im Planen und Bauen erweist? Auch hier gibt es klare Unterschiede in den drei Perspektiven, wobei wiederum zwei davon überwiegend dystopischen Charakter haben und zwischen Marginalisierung (global) und Bevormundung (national) pendeln.

Ein entscheidender Wert des Reports ist die vergleichende Chancen-Risiken-Analyse, denn erst sie lässt Veränderungen und Entscheidungen, die Veränderungen bewirken, plastisch werden. Zentrale Fragen wie beispielsweise der Erhalt des Gebäudebestands durch Sanierung, Umwidmungen von Flächen und Kompetenzverteilung der politischen Akteure sowie legislative Weichenstellungen (etwa durch Anreiz-Instrumente wie Förderungen und Strafsteuern) zielen damit auf plausible Antworten ab. Der Report wird so zu einem Manual, das zu einem längerfristiges Arbeiten damit anregt.

5 Leitideen für verantwortungsvolle Baukultur

Dazu tragen auch die fünf strategischen Leitgedanken bei, die der Baukulturreport formuliert und die zur Debatte führen mögen. Die Leitgedanken stellen inhaltliche Zusammenhänge her und verbinden das Heute mit dem Morgen. Die Baukulturpolitik wird dann eine aktive und wünschenswerte sein, wenn erstens das Bewusstsein für Baukultur weiter wächst und entsprechende Strukturen gefördert werden. Ein solch wachsendes Bewusstsein wäre zum Beispiel dann zu identifizieren, wenn sich der Hausbesitzer darüber klar wird, dass die Straße, die zu seinem Einfamilienhaus führt, eine andere gesamtwirtschaftliche Herausforderung darstellt als eine Straße, die zu einem Mehrparteienhaus führt. Dass die graue Energie, die nicht nur in seinem Häuschen im Grünen, sondern auch in der Errichtung der weiter forsch expandierenden Verkehrsflächen steckt, den CO2-Ausstoß enorm erhöht. Und das sogar bevor er das erste Mal in seinem neu errichteten Haus geschlafen hat oder mit seinem Auto dorthin gefahren ist.

Welch beträchtlicher Finanzierungsaufwand dies für die ohnedies zuweilen klammen Gemeindebudgets bedeutet, versteht sich – bei wachsendem Bewusstsein für das Ganze – von selbst: Die entsprechende Infrastruktur in Form von Kanälen, Wasser- und Stromleitungen, der Verlust von Ackerland oder Erholungsraum. Eine Maßnahme, um das Bewusstsein und die Wirkmächtigkeit zu erhöhen, wäre eine autonome Agentur für Baukultur.

Damit ist die zweite Leitidee auf das Gemeinwohl ausgerichtet. Im deutschen Grundgesetz findet sich der Passus: „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.“ Es gibt einen einprägsamen Gedanken, der sich schon bei Jean-Jacques Rousseau in seinem 1762 publizierten 'Gesellschaftsvertrag' findet, nämlich dass „die Früchte des Bodens allen gehören, der Boden selbst aber niemandem.“ Daraus ergeben sich die weiteren drei Leitgedanken praktisch von selbst: Ganzheitlich, langfristig und innovativ planen, Flächen und andere Ressourcen achtsam einsetzen sowie die öffentlichen Mittel an Qualitätskriterien knüpfen. Wer dies zusammenzählt, erkennt ganz klar, dass Prestigeprojekte, die für die egomanische politische Karriere förderlich sind, aber all diesen Prinzipien widersprechen, im Sinne unserer aller Zukunftsfähigkeit weder errichtet noch von öffentlicher Hand finanziert werden dürfen. Denn sonst hat man vielleicht ein teures, Ressourcen bindendes Fußballstadion, das leer steht …

Mehr Infos

Plattform Baukulturpolitik

https://www.baukulturpolitik.at

Beirat für Baukultur

https://www.kunstkultur.bka.gv.at/beirat-fur-baukultur

Direkt zum dritten Baukulturreport:

https://www.kunstkultur.bka.gv.at/publikationen-beirat-fur-baukultur